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Patientencoaching: Outcomes eines Pilotprojekts

Ein einjähriges Pilotprojekt im Auftrag einer deutschen Betriebskrankenkasse ermittelte die medizinischen, psychologischen und ökonomischen Effekte eines telefonbasierten Patientencoachings. Es zeigte sich ein nachhaltiger Effekt auf die Lebensqualität sowie die krankheitsspezifischen Risikofaktoren der Teilnehmer. Die Hospitalisierungsrate sank im Vergleich zum Vorjahr der Betreuung um über 60 %. Dies bewirkte eine Kostensenkung der Leistungsausgaben im stationären Bereich um 68 %, die Gesamtkosten pro Patient reduzierten sich um 61 %. Patienten werden durch gezielte Information und Motivation nachhaltig zu einem besseren Selbstmanagement ihrer Erkrankung und zur Umsetzung eines gesundheitsfördernden Lebensstils befähigt. Patientencoaching ist ein zielführendes Instrument, um mehr Qualität und Effizienz in der Patientenversorgung zu erreichen.

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.04.2010

Abstrakt: Patientencoaching: Outcomes eines Pilotprojekts

Ein einjähriges Pilotprojekt im Auftrag einer deutschen Betriebskrankenkasse ermittelte die medizinischen, psychologischen und ökonomischen Effekte eines telefonbasierten Patientencoachings. Es zeigte sich ein nachhaltiger Effekt auf die Lebensqualität sowie die krankheitsspezifischen Risikofaktoren der Teilnehmer. Die Hospitalisierungsrate sank im Vergleich zum Vorjahr der Betreuung um über 60 %. Dies bewirkte eine Kostensenkung der Leistungsausgaben im stationären Bereich um 68 %, die Gesamtkosten pro Patient reduzierten sich um 61 %. Patienten werden durch gezielte Information und Motivation nachhaltig zu einem besseren Selbstmanagement ihrer Erkrankung und zur Umsetzung eines gesundheitsfördernden Lebensstils befähigt. Patientencoaching ist ein zielführendes Instrument, um mehr Qualität und Effizienz in der Patientenversorgung zu erreichen.

Abstract: Patient coaching: Outcomes of a pilot project

Medical, psychological and economic effects of a telephone-based patient coaching were determined by a one year’s pilot project commissioned by a German health insurance company. Medical coaching had a lasting effect on patients’ quality of life as well as on disease-specific risk factors. Furthermore hospitalization decreased by more than 60 % compared to the previous year. The successful prevention of hospitalization resulted in significant cost savings over the course of coaching of 68 % in inpatient treatment and of 61 % in total costs per patient. Data show, that by means of education and motivation participants acquire competence for better disease management and for implementation of a healthy lifestyle. Medical coaching is an effective instrument in order to achieve more quali­ty and efficiency in patient care.

Literatur

Bauer, F./Preuß, K-J. (2009): Stellenwert und Beiträge zu einer besseren Versorgung durch Health Management Services – HMS. In: Monitor Versorgungsforschung 01/09: 25-31 Deutsche Gesellschaft für bürgerorientierte Gesundheitsversorgung e. V. (2009): Fehlende Therapietreue und nicht eingenommene Medikamente treiben die Kosten. In: http://www.dgbgev.de/index.php?id=53 Kaplan, S. H./Gandek B./Greenfield S./Rogers W./Ware J. E. (1995): Patient and visit characteristics related to physicians‘ participatory decision-making style. Results from the Medical Outcomes Study. In: Med Care 1995, 33(12):1176-87 Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Gutachten 2005, Kurzfassung: 23

Zusätzliches

Plain-Text

Patientencoaching: Outcomes eines Pilotprojekts

Die Bevölkerung in der Bundesrepublik befindet sich im demo­graphischen Wandel. Die Zahl der Menschen in höheren Altersstufen wächst immer mehr an und bekommt dadurch eine stärkere Gewichtung. Mit der höheren Lebenser­wartung nehmen Morbidität, Multimorbidität und Immobilität zu – eine Entwicklung, die die Kosten- und Leistungsträger zunehmend vor Herausforderungen stellt. Vor dem Hintergrund steigender Gesundheitskosten und mit Blick auf eine bessere Patientenversorgung geraten innovative und wirksame Ansätze zum Versorgungsmanagement mehr und mehr in den Fokus. Einer davon ist das Patientencoaching, das die gezielte, bedarfs-orientierte Förderung der Gesundheitskompetenz des Patienten im Rahmen der Gesunderhaltung sowie der Krankheitsbewältigung zum Ziel hat.

>> Insbesondere das Versorgungsmanagement chronisch Kranker und Multimorbider und die hohe Non-Compliance- bzw. Non-Adherence-Rate dieser Patienten stellt das Gesundheitssystem vor eine schwierige Aufgabe. Mit einem Anteil von ca. 20 bis 30 % aller Patienten verursachen Chroniker etwa 4/5 der gesamten Gesundheitsausgaben (Bauer/Preuß 2009). Mangelnde Therapie-Treue, die bei einigen Indikationen bis zu 50 % und mehr betragen kann, belastet das Gesundheitssystem und die Solidargemeinschaft in Deutschland jährlich mit direkten und indirekten Folgekosten in Höhe von 10 bis 15 Milliarden Euro, 2,3 Milliarden Euro gehen im Jahr allein durch nicht eingenommene Arzneimittel verloren (Seemann/Kissling 2008; DGbG 2009). Angesichts dieser Zahlen wird klar, dass Qualität und Wirtschaftlichkeit in der medizinischen Versorgung eng miteinander verknüpft sind und nicht ausschließlich von der Güte der medizinisch-kurativen und rehabilitativen Prozessschiene abhängen. Laut dem Gutachten 2005 des Sachverständigenrates zur Beurteilung der Entwicklung im Gesundheitswesen beläuft sich der Beitrag, den die institutionelle medizinische Versorgung zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation zu leisten vermag, je nach Rahmenbedingungen auf lediglich 10 bis 40 %. Weit stärkere Effekte – sicherlich auch in Bezug auf eine Kostenregulierung - sind demnach durch Interventionen zu erwarten, die auf eine Beeinflussung von Lebensstilen und Konsummustern und auf die Compliance-Förderung abzielen (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2005). Um dieses Potenzial für eine verbesserte Patientenversorgung nutzen zu können, ist es notwendig, die Stellung des Patienten im Beziehungsgeflecht des Gesundheitswesens neu zu bewerten und zu stärken. Gefragt ist nicht mehr der passive Patient, der in einem paternalistisch geprägten Verhältnis zu seinen Therapeuten steht und weitgehend unreflektiert medizinische Leistungen in Anspruch nimmt. Vielmehr soll der Kranke als aktiver Mitgestalter am Versorgungsprozess teilnehmen und im Rahmen seiner Möglichkeiten Verantwortung für seine Gesundheit übernehmen. An dieser Stelle setzt das Konzept des Patientencoachings an - den Patienten im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit seiner Gesundheit bzw. Krankheit zu befähigen und zu motivieren. Gegen­stand des vorliegenden Beitrags ist es, die Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren eines zielführenden Patientencoachings zu beschreiben und mögliche Outcomes am Praxisbeispiel eines Pilotprojekts in Zusammenarbeit mit einer deutschen Krankenkasse darzulegen.
Patientencoaching – Was ist das?
Die Arbeitsgruppe Patientencoaching der Deutschen Gesellschaft für bürgerorientierte Gesundheitsversorgung (DGbG) e.V. definiert Patientencoaching wie folgt: „Coaching soll Patienten nachhaltig in die Lage versetzen, ihre individuellen Gesundheitsziele zu erkennen und zu erreichen, indem sie lernen, eigene Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Selbstmanagement der Erkrankung zu entwickeln sowie Angebote und Strukturen zielgerichtet auszuwählen und zu nutzen und damit ihre Lebensqualität zu steigern.“ Patientencoaching bedeutet nicht, den Menschen zu therapieren – dies ist und bleibt die Aufgabe des behandelnden Arztes und anderer therapeutischer Instanzen. Es bedeutet auch nicht unbedingt, ihn zu beraten. Der Coach schlüpft vielmehr in die Rolle eines wertschätzenden Begleiters, der in seiner wegweisenden Funktion den Patienten ganzheitlich und im Umfeld seiner persönlichen Rahmenbedingungen (Settings) erfasst und fördert. Jeder Patient organisiert sich mit seiner Erkrankung individuell, möchte individuell wahrgenommen werden und benötigt individuelle Ansätze der Unterstützung. Patientencoaching darf sich nicht in setting- und kontextunabhängigen Interventionen erschöpfen, die sich auf bloße Information und Edukation beschränken. Vielmehr geht es darum, den Patienten als wichtige Stellgröße der Behandlung und Genesung wahrzunehmen und ihn dazu zu befähigen, im Rahmen der eigenen Möglichkeiten aktiv zur Bewältigung seiner Erkrankung und zum Therapieerfolg beizutragen. Zahlreiche Erfahrungen und Untersuchungen aus den USA zeigen: 65 bis 80 % aller chronisch Erkrankten können – im Rahmen der fortlaufenden ärztlichen Betreuung – ihre Krankheit weitgehend selbst managen. Bevor der Patient jedoch „Manager“ seiner Erkrankung sein kann, muss er zum „Experten“ seiner Krankheit werden: Er benötigt Unterstützung, Beratung, Motivation und Information, die seine individuellen Bedürfnisse aufgreifen und ihn bei der Entwicklung persönlicher Strategien der Krankheitsbewältigung begleiten. Den Patienten in seiner Entwicklung vom betroffenen hin zum informierten und schließlich kompetenten Patienten zu unterstützen, der medizinisches Handeln durch aktives Mitwirken und Verantwortungsbewusstsein in eigener Sache und zum eigenen Nutzen ergänzt, ist die zentrale Aufgabe des Patientencoachings.
Kernelemente und Ablauf eines zielführenden Patienten­coachings
1. Analysephase: Identifizierung geeigneter Patientengruppen
Maßnahmen des Patientencoachings sind nicht für jeden Patienten sinnvoll und zielführend. Für ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis ist es erfolgsentscheidend, der Selektion möglicher Teilnehmer in Hinblick auf patienten- und krankheitsspezifische Parameter und auf die erwünschten Outcomes höchste Bedeutung beizumessen. In der Regel liegt der Fokus der Analysephase auf der Identifikation von Personen mit chronischen, oft multimorbiden Erkrankungen und Patienten mit akuten gesundheitlichen Gefährdungen (Rückenschmerzen, psychische Leiden), bei denen eine Optimierung des Therapie- und Krankheitsverlaufs durch ein gezieltes Coaching zu erwarten ist. Ausgehend von vorliegenden, pseudonymisierten Leistungs- und Stammdaten und unter Berücksichtigung definierter medizinischer Einschlusskriterien wird für alle Versicherten ein persönliches Risikoprofil erstellt. Auf der Basis dieser Profile können durch Prädiktionsmodelle individuelle Risiko-Scores gebildet werden, die die Wahrscheinlichkeit für kostenintensive medizinische Ereignisse und für eine Verschlechterung des ganzheitlichen Gesundheitszustands vorhersagen. Diese prospektive Herangehensweise ermöglicht es, potenziell in Frage kommende Programm-Teilnehmer zu Zeitpunkten des Krankheitsverlaufs anzusprechen, die vor Entstehung einer Hochkostenphase (z. B. durch stationäre Einweisungen, Folgeerkrankungen) liegen und reele Beeinflussungsmöglichkeiten auch in Hinblick auf den Erhalt der Lebensqualität bieten.

2. Aufnahmephase: Entwicklung einer patientenspezifischen Betreuungsstrategie
Die aktive Ansprache und Gewinnung der in der Analysephase selektierten Versicherten erfolgt im Rahmen der datenschutzrechtlichen Bestimmungen durch den Kostenträger, sprich die beauftragende Krankenkasse, mit Hilfe zielgruppengerechter Informationsunterlagen und gegebenenfalls telefonischer Rekrutierungsmaßnahmen. Durch Unterschrift einer programmspezifischen Einwilligungserklärung sowie optional einer Schweigepflichtentbindung für die behandelnden Ärzte erklärt der angesprochene Versicherte seine Teilnahmebereitschaft und stimmt einem telefonischen Erstgespräch mit einem Coach zu. Für eine stabile, zielführende Coachingbeziehung, die dem Betreuer eine wertschöpfende und nachhaltige Einflussnahme auf das Verhalten seines Gegenübers erlaubt, ist der möglichst rasche Aufbau einer Vertrauenssituation zwischen Coach und Patient Voraussetzung. Dies wird dadurch gewährleistet, dass der Patient von Anfang an und über den gesamten Verlauf des Coaching-Programms hinweg mit einem festen Ansprechpartner kommuniziert, seinem persönlichen Coach. Im Zuge des Erstkontakts verschafft sich dieser einen genauen Überblick über die individuelle Krankheitssituation des Patienten sowie seine persönlichen Rahmenbedingungen und Ressourcen. Mit Hilfe eines strukturierten Assessments beurteilt der Coach, wie der Wissensstand des Patienten zu seiner Erkrankung ist und wo Verständnisdefizite bezüglich des Krankheits- und Therapieprozesses bestehen. Er stellt gezielte Fragen, die das persönliche Umfeld des Patienten und seine Möglichkeiten, seine Befähigung und seine Bereitschaft zu einem therapieunterstützenden Verhalten betreffen. Aus diesen grundlegenden Informationen leitet der Coach ein individuelles Bedarfsprofil ab und entwickelt zusammen mit dem Patienten ein bedarfs- und bedürfnis-orientiertes Betreuungskonzept, das die Häufigkeit, die Art und die Intensität der geplanten Interventionen sowie die Schwerpunkte der medizinischen Inhalte festlegt. Wenn der Patient es wünscht, nimmt der Coach in dieser Phase Kontakt zum behandelnden Arzt auf, um weitere für die Betreuung relevante Informationen einzuholen und das Betreuungskonzept mit ihm abzustimmen.

3. Coaching-Phase: Information, Unterstützung und Motivation mit dem Ziel eines nachhaltigen Selbstmanagements
Die erste Phase des Coaching versteht sich als Stabilisierungsphase, in der der Patient zusammen mit seinem Betreuer ein Verständnis für seine persönliche krankheitsbezogene Problematik aufbaut und individuelle Lösungsstrategien entwickelt. In regelmäßigen telefonischen Kontakten, deren Zeitpunkt und Frequenz die Bedürfnisse des Patienten berücksichtigen, identifiziert der Coach Bereiche, in denen die Notwendigkeit von Lebensstilveränderungen oder einer verbesserten Therapie-Compliance besteht. Er gibt mit Blick auf die persönliche Gesamtsituation und das häusliche Umfeld des Patienten prak­tikable Empfehlungen, z. B. zu Bewegung, Ernährung, notwendigen Arztbesuchen, zum Umgang mit den verordneten Medikamenten oder zum Notfallmanagement, und behandelt individuelle Problemstellungen. Im Gespräch und mit Hilfe von entsprechendem Informationsmaterial vermittelt der Coach grundlegendes medizinisches Wissen zu den Hintergründen der Erkrankung und zur Behandlung mit dem Ziel, dem Patienten die Sinnhaftigkeit der therapeutischen Maßnahmen sowie die Notwendigkeit und die Möglichkeiten des aktiven Mitwirkens zu verdeutlichen. Durch die Vereinbarung realistischer Verhaltens- und Handlungsziele, die der Kranke mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln erreichen kann, wird im Verlauf des Coachings beim Patienten das Bewusstsein gestärkt, dass er von seinem persönlichen Engagement profitieren und - dieses vorausgesetzt - die eigene Erkrankung erfolgreich bewältigen und positiv beeinflussen kann. Sobald der Wissensstand und die innere Haltung des Patienten es zulassen, führt der Coach ihn in die Phase des begleiteten Selbstmanagements. Sie gibt dem Patienten die Möglichkeit, den selbstständigen Umgang mit der eigenen Erkrankung zu erleben und auszutesten. Die Aufgabe des Coaches besteht zu diesem Zeitpunkt in erster Linie darin, Hilfestellung bei Schwierigkeiten und Krisen zu leisten und den Patienten dazu zu motivieren, die begonnenen Veränderungen fortzuführen. Mit gezielten Interventionen der Compliance- und Adherence-Förderung und gegebenenfalls der Wiederaufnahme relevanter Schulungsinhalte sorgt der Coach dafür, dass der Patient gesundheitsfördernde Maßnahmen und Behandlungsempfehlungen verinnerlicht und nachhaltig umsetzt. Mit einem Abschlussgespräch endet das Coaching.
Der Erfolg des Coachings hängt in entscheidendem Maße von der Qualifikation des begleitenden Beraters ab. Die Anforderungen an einen Patientencoach sind komplex, seine Aufgaben vielfältig. Er benötigt einen fundierten medizinischen Background und langjährige Berufserfahrung, um die individuelle Gesundheitssituation des Patienten erfassen und im Zuge der Betreuung bedarfs- und bedürfnisorientiert auf ihn einwirken zu können. Coaching findet jedoch nicht nur auf fachlicher Ebene statt, sondern muss, um zielführend zu sein, auf der Basis einer tragfähigen, durch gegenseitige Akzeptanz geprägten Vertrauensbeziehung stattfinden. Grund­voraussetzung hierfür sind eine vorurteils- und wertfreie Grundhaltung des Coaches, ein partnerschaftlicher, pädagogisch einfühlsamer Führungsstil sowie Empathiefähigkeit. Nur wenn der Patient sich in der Gesamtheit seiner Bedürfnisse und Voraussetzungen verstanden fühlt, wird er Vertrauen fassen, sich öffnen und einer kompetenzfördernden Beeinflussung zugänglich werden. Diese muss von Seiten des Coaches insbesondere in Richtung einer Befähigung zur partnerschaftlichen (shared decision making z. B. mit dem Coach, Arzt oder Therapeuten) bzw. zur selbstständigen Entscheidungsfindung gesteuert werden. Denn die persönliche Verpflichtung gegenüber einer gemeinsam verantworteten Übereinkunft bzw. einer selbst getroffenen Entscheidung ist der beste Garant für die Therapietreue, die Nachhaltigkeit gesundheitsfördernden Verhaltens und die Bereitschaft des Patienten zum Selbstmanagement.

4. Ergebnis-Evaluation: Ermittlung der erzielten Outcomes
Die Evaluation als das methodische Erfassen und begründete Bewerten von Prozessen und Ergebnissen ist eine zentrale Methode des Qualitätsmanagements. Insbesondere Bereiche, die die Gesundheit und Lebensqualität von Patienten betreffen, implizieren einen hohen Anspruch an Qualität sowie Verantwortung und die Notwendigkeit, messbare Effekte und beteiligte Prozesse in Hinblick auf eine zielorientierte Umsetzung zu kontrollieren und zu analysieren. Die Messung kurz- und langfristiger Konsequenzen des Patientencoachings dient der Erfolgskontrolle und der Legitimation dem Auftraggeber gegenüber und zugleich als Entscheidungshilfe für eine kontinuierliche Anpassung von Design und Implementierung der durchgeführten Maßnahmen im Sinne der Qualitätssicherung. Das Patientencoaching versteht sich als ganzheitliches Konzept, das für den Patienten, aber auch für die Leistungs- und Kostenträger nutzbringend sein soll. Entsprechend umfasst der Evaluationsprozess klinische, psychologische und ökonomische Effekte.
Patientencoaching in der Praxis:
Ein Pilotprojekt
1. Rahmenbedingungen und Ablauf des Pilotprojekts
Das Pilotprojekt Patientencoaching wurde von der 4sigma GmbH in Kooperation mit einer deutschen Betriebskrankenkasse im Zeitraum von Januar 2008 bis Februar 2009 durchgeführt (siehe Tabelle 1). Nach der Analyse-Phase (Januar 2008) wurden 710 Versicherte in der Pilotregion identifiziert, die die definierten Sektions-, Einschluss- und Ausschlusskriterien erfüllten. 44 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 64 Jahren wurden unabhängig von der Hauptindikation in das Pilotprojekt Patientencoaching aufgenommen (Februar 2008). Die telefonische Betreuung durch einen persönlichen Coach dauerte 12 Monate und gliederte sich in eine 5-monatige Stabilisierungsphase sowie eine 7-monatige Phase des begleiteten Selbstmanagements. In der Aufnahmephase sowie nach 6 und 12 Monaten wurden verschiedene Parameter erhoben, die für den klinischen Verlauf der in der Teilnehmergruppe vertretenen Indikationen bedeutsam sind sowie eine Beurteilung des Compliance-Verhaltens, der Selbstmanagement-Kompetenz und der Lebensqualität der Patienten erlauben.

2. Ergebnisse des Pilotprojekts Patientencoaching
2.1 Patientenzufriedenheit und Lebensqualität
Intention des Patientcoachings ist es, eine gezielte Unterstützung zu bieten, die individuelle Bedürfnisse aufgreift und die persönlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt. Die Zufriedenheit des Patienten mit der Betreuung und sein Commitment gegenüber dem Coaching sind zwingende Voraussetzungen dafür, dass die Schulungs- und Selbsthilfemaßnahmen langfristige Erfolge zeigen und habitualisiert werden. Durch regelmäßige Patientenzufriedenheitsbefragungen im Verlauf des Pilotprojekts konnte gezeigt werden, dass die Akzeptanz der Teilnehmer für die telefonische Betreuung durch den Coach sehr hoch ist und die Effekte bezüglich der persönlichen Lebens- und Versorgungsqualität überwiegend positiv eingeschätzt werden (Abb. 2).

2.2 Verhaltensmuster und klinische Parameter
Aufgabe des Patientencoachings ist es, persönliche Krankheitsrisiken des Patienten aufzudecken und gemeinsam mit ihm Verhaltenstrategien zu entwickeln und umzusetzen, die einer Verbesserung des Risikoprofils und der positiven Beeinflussung des Krankheitsverlaufs dienen. Grundlage dafür bildete im vorliegenden Pilotversuch insbesondere die Motivation zu einem gesundheitsfördernden Lebensstil in den Bereichen Ernährung, Bewegungsverhalten und Gewichtskontrolle – mit dem Ziel, durch Beeinflussung dieser Verhaltensfaktoren auch krankheitsrelevante klinische Parameter (z. B. Übergewicht, Bluthochdruck) zu verbessern. Die Ergebnismessungen in diesem Bereich ergaben, dass
57 % der Programmteilnehmer nach Ablauf der Coaching-Phase ihr Ernährungs- und Bewegungsverhalten positiv verändert hatten. 45 % der Patienten verloren an Gewicht, bei 29 % reduzierte sich der Bauchumfang, und der Anteil der Programmteilnehmer, bei denen der Blutdruck dauerhaft unter dem Richtwert von 135/80 mmHg lag, stieg um rund 10 Prozentpunkte an (Abb. 3).

2.3 Selbstmanagement und Compliance
Im Verlauf des Coachings stieg die Zahl der Patienten innerhalb der Pilotgruppe signifikant an, die regelmäßig Strategien und Maßnahmen des Selbstmanagement anwenden (Steigerung um 24 Prozentpunkte auf 71 %). Ebenso fühlten sich infolge der Betreuung deutlich mehr Teilnehmer sicherer im Umgang mit Notfallsituationen (Steigerung um 29 Prozentpunkte auf 62 %). Neben der Befähigung zum Krankheitsselbstmanagement ist die Verbesserung der Compliance bzw. Adherence ein zentraler Schwerpunkt des Patientencoachings. Insbesondere die regelmäßige Einnahme der verordneten Medikamente ist von entscheidender Bedeutung, um einerseits den Therapieerfolg für den Patienten zu sichern und andererseits den ökonomischen Schaden mangelnder Therapietreue für das Gesundheits- und Gemeinwesen zu begrenzen, der jährlich in die Milliarden Euro geht. Im Zuge des Pilotprojekts Patientencoaching gelang es, den Anteil medikamententreuer Teilnehmer um 24 Prozentpunkte zu erhöhen. Ein weiterer Aspekt der Compliance ist eine regelmäßige Verlaufskontrolle durch den behandelnden Haus­arzt oder Facharzt. Die erhobenen Daten zeigten hier, dass das Verhalten der Programmteilnehmer in Hinblick auf die ärztliche Versorgung keiner Veränderung unterlag und die bestehenden Konkurrenzbefürchtungen von Seiten der Leistungserbringer gegenüber nicht-ärztlichen Betreuungsangeboten unbegründet sind (Abb. 4).

2.4 Hospitalisierungsrate und Kosteneinsparungen
Im Zentrum des Patientencoachings stehen die Versorgungsqualität und das Wohl des Kranken. Zugleich eignet es sich auch als Instrument der Kostensteuerung, indem es einen zielgerichteten Einsatz bestehender, oftmals jedoch nicht ausreichend genutzter Ressourcen in den Bereichen Prävention und Kuration fördert. Insbesondere die hohe Zahl vermeidbarer stationärer Aufenthalte ist ein Kostentreiber im deutschen Gesundheitswesen. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes betrugen die Krankenhauskosten 2007 in Deutschland 64,6 Milli­arden Euro, das entspricht rund einem Viertel der Gesamtausgaben (Statistisches Bundesamt 2009). Durch die zielorientierten Interventionen des Patientencoachings gelang es, die Hospitalisierungsrate im Vergleich zum Vorjahr um über 60 % zu reduzieren. Dies und die Vermeidung kostenintensiver Krankheitsverläufe führten dazu, dass die Leistungsausgaben im stationären Bereich um mehr als zwei Drittel sowie die Gesamtkosten pro Patient um 63 % bzw. 3.365 Euro sanken (Abb. 5).
Diskussion
Die Ergebnisse des beschriebenen Pilotprojekts der 4sigma GmbH machen deutlich, dass ein zielorientiertes, qualitätsgesichertes Coaching ein geeignetes Instrument darstellt, für alle Beteiligten im Versorgungsprozess chronisch Kranker eine Win-Win-Situation zu schaffen. Das intensive, individuelle Coaching hilft dem Patienten dabei, besser mit der Erkrankung zu leben und durch den gezielten Einsatz eigener Ressourcen die persönliche Gesundheitssituation und Lebensqualität zu verbessern. Durch Förderung der Kompetenz, der Compliance und des Selbstmanagements wird zudem die Voraussetzung dafür geschaffen, dass der Patient ärztliche Empfehlungen besser versteht und umsetzt und eine partnerschaftliche, unterstützende Beziehung zu seinen Therapeuten pflegen kann. Die Arbeit des Arztes und die des Coaches ergänzen sich nutzbringend im Sinne einer ganzheitlichen Betreuung, die dem Leistungserbringer mehr Raum für seine ärztlichen Kernkompetenzen verschafft. Als wirkungsvolles Instrument der Kostendämpfung, insbesondere im stationären Versorgungssektor, erweist sich das Patientencoaching auch aus Sicht der Kostenträger als lohnenswerte Investition – ganz abgesehen davon, dass Angebote für eine bessere Versichertenversorgung in der sich wandelnden Krankenkassenlandschaft mehr und mehr zu einem wichtigen Faktor der Konkurrenzfähigkeit und Kundenbindung werden. Die messbaren Erfolge des Pilotprojekts veranlassten die beauftragende Betriebskrankenkasse im Jahr 2009 dazu, das strukturierte Coaching bundesweit allen potenziellen Versicherten anzubieten. Die ersten Erfahrungen der flächendeckenden Umsetzung bestätigen die Trends und Outcomes des Pilotprojekts. <<