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Stand und Zukunft der Demenzversorgung

Der demografische Wandel mit einem Anstieg der Hochbetagten, das zunehmende öffentliche Wissen über Demenzerkrankungen und die steigenden Erwartungen an medizinische Interventionen von Angehörigen und Betroffenen wird die Nachfrage nach Möglichkeiten zur Frühdiagnose und Therapie für Merkfähigkeitsstörungen im Alter steigern. Während zurzeit auch aufgrund von Stigmatisierung eine dokumentierte Diagnosestellung erst im 3. Jahr einer Demenz erfolgt, wird zukünftig voraussichtlich eine frühere Diagnosestellung im 1. und 2. Krankheitsjahr erfolgen. Im Gegensatz zu umfänglichen Weiterentwicklungen im Bereich der Diagnostik sind die therapeutischen Möglichkeiten jedoch noch beschränkt. Der zunehmende Regelfall des Alleinlebens wird das von älteren Menschen oft geäußerte Ziel, eine Versorgung in der eigenen Häuslichkeit zu ermöglichen, zukünftig beim Eintreten einer Demenz oft gefährden.

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.10.2009

Abstrakt: Stand und Zukunft der Demenzversorgung

Der demografische Wandel mit einem Anstieg der Hochbetagten, das zunehmende öffentliche Wissen über Demenzerkrankungen und die steigenden Erwartungen an medizinische Interventionen von Angehörigen und Betroffenen wird die Nachfrage nach Möglichkeiten zur Frühdiagnose und Therapie für Merkfähigkeitsstörungen im Alter steigern. Während zurzeit auch aufgrund von Stigmatisierung eine dokumentierte Diagnosestellung erst im 3. Jahr einer Demenz erfolgt, wird zukünftig voraussichtlich eine frühere Diagnosestellung im 1. und 2. Krankheitsjahr erfolgen. Im Gegensatz zu umfänglichen Weiterentwicklungen im Bereich der Diagnostik sind die therapeutischen Möglichkeiten jedoch noch beschränkt. Der zunehmende Regelfall des Alleinlebens wird das von älteren Menschen oft geäußerte Ziel, eine Versorgung in der eigenen Häuslichkeit zu ermöglichen, zukünftig beim Eintreten einer Demenz oft gefährden.

Abstract: Status and future of dementia care

The quest for early diagnosis in dementia will rise because of rising live expectancy, changes in the public knowledge about dementia, and increasing expectations of patients with dementia and their relatives. At present, among other causes, stigma delays the diagnosis of dementia often for years. In the future diagnoses will presumably be documented within the first two years of dementia. In contrast to the evolution of highly efficient diagnostic tools, medical and non-medical treatment of dementia has still limited efficacy. The demographic changes lead to an increase in single person households which is challenging for the goal to treat dementia patients at home.

Literatur

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Zusätzliches

Plain-Text

Stand und Zukunft der Demenzversorgung

Demenzerkrankungen stellen die Gesellschaften der Industrie-, aber auch der Schwellenländer vor neue Herausforderungen. Die Demenz ist ein klinisches Syndrom, bestehend aus einer Merkfähigkeitsstörung sowie weiteren kognitiven Leistungsstörungen. Damit greift die Demenz an die Grundwurzeln der gesellschaftlichen Teilhabe, die auf Autonomie und Kommunikationsfähigkeit gründen. Eine Demenz ist nicht eine zwangsläufige Folge des Alterns. Über 80 % der 80-Jährigen leiden nicht an einer Demenz.
Die mediale Behandlung von Demenzen auf allen Ebenen, allein 53 ausführliche Kino- und Fernsehfilme, zumeist in den letzten Jahren (Segers 2007), sowie ihre Titelblattpräsenz in vielen Printmedien (z.B. Titelblatt der Augustausgabe des „Focus“), hat die ältere Bevölkerung bzgl. des Risikos einer Demenz, ihrer Symptome und insbesondere bzgl. der Tatsache, dass eine zunehmende Merkfähigkeitsstörung nicht altersnormal ist, sensibilisiert. Der Name Alzheimer für die häufigste Demenzerkrankung ist mittlerweile weltweit der bekannteste Arztname.

>> Mit dem Alter zunehmende Hirnveränderungen sind die treibende Kraft der Gedächtnisschwäche. Diese Hirnveränderungen lassen sich in degenerative und gefäßbedingte Veränderungen unterteilen. Eine Verzögerung der Entwicklung dieser Veränderungen um 5 Jahre würde die Häufigkeit von Demenzerkrankungen halbieren. Damit wäre die absehbare Verdoppelung der Prävalenz von Demenzerkrankungen in Deutschland in den nächsten 20 Jahren abgefangen. Untersuchungen zur Prophylaxe einer Demenz durch verhaltensabhängige Maßnahmen wie Ernährungsänderungen oder sportliche und geistige Tätigkeit werden zurzeit in kleinerem Maße durchgeführt. Z.B. konnten Senioren in einer australischen Studie bessere kognitive Leistungen erbringen, wenn sie ein moderates Lauftraining durchführten. Inwiefern diese minimalen kognitiven Differenzen jedoch auch die Diagnose einer Demenz aufschieben können, konnte in dieser Studie nicht gezeigt werden (Lautenschläger et al., 2008). Insgesamt scheinen aber die verhaltensbezogenen Risiken für Demenzen deutlich kleiner zu sein als z.B. für den Diabetes mellitus.
Hinweise für ein Herausschieben einer Demenz existieren für eine konsequente Hypertoniebehandlung, Blutfettsenker (Statine) und einige Schmerzmittel (Non-Steroidal Anti-Inflammatory Drugs, NSAIDs) (Förstl et al., 2009, Hüll et al., 2006). Beweise für einen protektiven Effekt aus prospektiven Studien fehlen jedoch. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert zurzeit Untersuchungen zu Statinen im Förderprogramm klinische Studien und NSAIDs im Förderprogramm Kompetenznetz degenerative Demenzen. Diesbezügliche klinische Studien sind aufgrund der notwendigen hohen Teilnehmerzahl und der mehrjährigen Beobachtung sehr aufwändig.
Kohortenstudien zu Risikofaktoren für Demenzerkrankungen wurden im europäischen Ausland und in kleinerem Maße in Deutschland durchgeführt. Im Zusammenhang mit der Gründung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in der Helmholtz-Gesellschaft werden auch Überlegungen zur Integration demenzspezifischer Fragestellungen in die Helmholz-Kohortenstudien in Deutschland geführt. Bei weitgehend vorliegenden korrelativen Daten aus Beobachtungsstudien anderer europäischer Länder wird ein weiterer Wissenszuwachs aber insbesondere von Interventionsstudien kommen. Während patentgeschützte pharmakologische Interventionen durch Firmen erprobt werden, erscheint die Finanzierung von klinischen Studien zur Prophylaxe mit nicht-medikamentösen Interventionen oder patentschutzfreien Medikamenten insbesondere aus öffentlichen Mitteln förderungswürdig.
Demenzdiagnosen werden erst
im 3. Krankheitsjahr dokumentiert
Das Alter ist ein Hauptrisikofaktor für eine Demenz mit einem exponentiellen Anstieg des Risikos. Drei von Hundert gesunden 80-Jährigen entwickeln jedes weitere Lebensjahr eine Demenz, im 90. Lebensjahr sind über die Hälfte aller Menschen erkrankt (Qiu et al., 2009). Während diese Daten aus epidemiologischen Feldstudien stammen und eine hohe Übereinstimmung zwischen den europäischen Ländern, Kanada und den USA zeigen, ist die Validität der Diagnosedaten der Krankenkassen kritisch zu sehen. So liegen die Inzidenzraten für eine Demenzdiagnose nach deutschen Krankenkassendaten ca. 30 % unterhalb der Inzidenzraten aus Feldstudien für leichte Demenzen. Anders ausgedrückt ist die Inzidenzkurve der dokumentierten Demenzdiagnosen zur epidemiologisch sicheren Inzidenzrate um 3 Jahre hin zu einem höheren Lebensalter vorschoben (www.rostockerzentrum.de/publikationen/rz_diskussionpapier_24.pdf). Gründe einer späten Diagnosestellung können auf Seiten des Betroffenen, seiner Familie oder aber auch des behandelnden Arztes liegen, der eine Gedächtnisstörung im Alter fälschlicherweise als normal beurteilen kann bzw. aufgrund des Stigmas dem Thema ausweicht (siehe 3.2.1. www.degam.de/typo/uploads/media/LL-12_Langfassung_gekuerzt.pdf). Diese Gründe mögen auch zu einer gegenüber Feldstudien reduzierten Inzidenz von Demenzdiagnosen insbesondere bei Hochbetagten beitragen (siehe Abb. 1).
Stigmatisierung verzögert die Diagnosestellung
Wie bei anderen Erkrankungen mit psychischen Symptomen besteht bei Demenzerkrankungen ein hoher Grad an Selbst- und Fremdstigmatisierung. Im Weltgesundheitsbericht 2001 stellte Gro Harlem Brundtland, Generaldirektorin der WHO, mit Blick auf die gesellschaftliche Ausgrenzung von Menschen mit Erkrankungen des Gehirns fest: „Viele von uns scheuen immer noch vor den Betroffenen zurück oder ignorieren sie, so als fehle uns der Mut, sie zu verstehen und uns ihrer anzunehmen.“ (www.who.int/mental_health/media/en/790.pdf).
Die Einstellung zu Demenzerkrankten wurde in Deutschland unter Haus- und Fachärzten erfasst. Dabei fanden sich negative Einstellungen oft bei Ärzten, die sich im Umgang mit Demenzerkrankten als wenig kompetent wahrnahmen (Kaduszkiewicz et al., 2008). Eine Untersuchung in Belgien zeigte, dass nur 68 % der Ärzte eine Demenzdiagnose immer dem Betroffenen mitteilen, wobei jüngere Ärzte häufiger Diagnosen mitteilten, wobei zur Begründung das Recht auf Information auf Seiten des Betroffenen hervorgehoben wurde. Kulturelle Aspekte wurden in dieser Untersuchung aber auch deutlich, da die Rate der Diagnosemitteilungen durch flämisch sprechende Ärzten deutlich größer ist als bei französisch sprechenden Ärzten (Tarek et al., 2009). Die Zurückhaltung gegenüber einer offen durchgeführten Demenzdiagnostik findet sich auch in Großbritannien. Schätzungsweise die Hälfte aller Demenzdiagnosen unterbleiben dort, obwohl die betreuenden Hausärzte klare Anzeichen wahrnehmen. Als Gründe werden die Stigmatisierung von Demenzkranken sowie die unzureichenden finanzielle Förderung der Betreuung und Behandlung genannt (Iliffe et al., 2009).
In Erkenntnis dieser Defizite wurde von Kaduszkiewicz und der Gruppe von van den Bussche eine Schulung von Hausärzten und Pflegekräften durchgeführt (Kaduszkiewicz et al., 2009). Während allgemein eine positive Einstellungsveränderung nach der Schulung bei Ärzten und Pflegekräften beobachtet wurde, war die Bereitschaft, eine Demenzdiagnose offen mit den Betroffenen zu thematisieren, auf Seiten der Ärzte nicht gestiegen (Kaduszkiewicz 2009). Während viele zur Pflegebedürftigkeit führende Erkrankungen oft während eines stationären Krankenhausaufenthaltes diagnostiziert werden, ist eine stationäre Aufnahme zur Demenzdiagnostik zumeist unnötig. Gleichzeitig sinkt sowohl im stationären als auch im ambulanten ärztlichen Versorgungsbereich die Zeit für Gespräche über gesundheitliche Beeinträchtigungen. Obwohl 3,8 Millionen Krankenhausaufnahmen im Jahr 2007 bei über 75-Jährigen stattfanden, wird in diesem Zusammenhang kaum eine Demenz diagnostiziert oder verschlüsselt, obwohl der Aufnahmeanlass, z.B. ein Sturz oder ein Verwirrtheitszustand, oft mit einer bestehenden Demenz zusammenhängt (www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/2008/Krankenhaeuser/begleitheft__krankenhaeuser,property=file.pdf). Im Jahr 2020 wird nach Schätzung des Statistischen Bundesamtes der Anteil der über achtzigjährigen Patienten an den gesamten Patienten eines Krankenhauses über 19 % liegen (Abbildung 2). Damit dürften Demenzerkrankungen als wesentliche Komorbiditäten auch im stationären Bereich in den Vordergrund rücken.
Im Gegensatz zu anderen chronisch progredienten Erkrankungen folgt nach der Diagnose einer Demenz häufig ein Rückzug von Seiten der ärztlichen Betreuung. Aufgrund der in vielen Ländern problematisch empfundenen Diagnosemitteilung wurde in Kanada ein spezielles Programm zur Betreuung und Information der Angehörigen durch Krankenschwestern unmittelbar nach Diagnosestellung entwickelt (Ducharme et al., 2009). Welche Professionalisierung oder Schulung in diesem Bereich der psychosozialen Frühbetreuung benötigt wird bzw. von welchen Kostenträgern refinanziert werden könnte, ist unklar. Verschiedene Träger haben Beratungsstellen für Demenzerkrankte und ihre Angehörigen eingerichtet und Selbsthilfegruppen werden auch mit Hilfe der Deutschen Alzheimer Gesellschaft zunehmend aufgebaut (www.deutsche-alzheimer.de/index.php?id=42&plz=2). Verschiedene Studien weisen daraufhin, dass eine frühe professionelle psychosoziale Mitbetreuung die Rate an Pflegeheimaufnahmen reduzieren kann (Mittelman et al., 2006).
Es bleibt abzuwarten, ob die Aufnahme der Demenz in die Liste der morbiditätsrisikoausgleichsrelevanten Diagnosen die ärztliche Berichtshäufigkeit dieser Diagnose ändern wird. Ebenso wie eine späte Aufnahme einer Demenzdiagnose in die Liste der krankenkassenübermittelten Diagnosen ist auch eine starke Tendenz zur Nutzung unspezifischer Demenzdiagnosen (F03, Demenzsyndrom nicht näher spezifiziert) zu beobachten (www.rostockerzentrum.de/publikationen/rz_diskussionpapier_24.pdf).
Diese Zurückhaltung hat mit diagnostischen Unsicherheiten im allgemeinärztlichen Bereich gerade bei frühen Demenzsyndromen zu tun. Dabei sollte gerade bei einschneidenden Erkrankungen eine einmalige diagnostische Abklärung auf einem hohen Leitlinienniveau erfolgen, bei der meistens auch ohne Einsatz kostenträchtiger oder belastender Untersuchungsmethoden (Positronenemissionstomographie, Liquoruntersuchung) eine hohe Diagnosesicherheit im Stadium der leichten Demenz erreicht werden kann. Diagnostikkosten bei Einsatz von Anamneseerhebung, klinischer Untersuchung, neuropsychologischer Testung, beschränkten Laborwerten und einer Computertomographie liegen im Bereich von ca. 500 Euro, bei Einsatz einer Kernspintomographie bei 740 Euro. Angesichts der fundamentalen prognostischen Bedeutung einer Demenzdiagnose, die aufgrund der vorhersagbar zunehmenden Einschränkungen der Bedeutung einer Krebsdiagnose entspricht, erscheint der Aufwand nicht überhöht. Bei ca. 200.000 Neudiagnosen pro Jahr in Deutschland und ca. 6.000 niedergelassenen Fachärzten für Psychia-
trie/Neurologie/Nervenheilkunde (Statistik der Bundesärztekammer, www.baek.de/downloads/Stat08Tabelle08.pdf) scheint auch der regelhafte Einbezug eines Facharztes möglich, wobei in ländlichen Regionen unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten bestehen.
Sollte regelhaft die Diagnose in den ersten Jahren des Krankheitsverlaufes erfolgen, findet diese auch zu einem Zeitpunkt statt, wo das Aufsuchen dieser Untersuchungsmöglichkeiten durch die Betroffen alleine oder in Begleitung ihrer Angehörigen möglich ist. Aufgrund unzureichender Diagnostik ergibt sich zurzeit bei vielen immobilen und schwerer dementen Pflegeheimbewohnern die Frage, ob die Belastungen einer weiteren Diagnostik (Krankenwagentransport und eventuell Sedierung für eine Computertomographie des Kopfes) sinnvoll sind. Da Demenzerkrankungen sich über mehrere Jahre entwickeln, sollte bei konsequenter Frühdiagnostik diese unbefriedigende Situationen in naher Zukunft nicht mehr auftreten. In den USA wurde eine Verkürzung der Zeit von dem Auftreten erster Demenzsymptome zur Diagnose von 3 Jahren auf 1 Jahr beobachtet; ein Trend, der auch in Deutschland spürbar ist (Knopman et al., 2000).

Vorgehensweisen und Strukturen
für eine Früherkennung sind verfügbar
Zahlreiche Schulungen haben Ärzten das aktuelle Wissen zu Demenzerkrankungen sowie mögliche Kurztest an die Hand gegeben. Auf der Ebene der Ärzte ist dabei aktuell insbesondere im städtischen Bereich eine sinnvolle Arbeitsteilung zu beobachten. Allgemeinmediziner und Hausärzte stellen oft den Verdacht auf eine Demenzerkrankung (F03) und nutzen Überweisungswege zu Nervenärzten, um von dem globalen Diagnosebegriff Demenzerkrankung eine diagnostische Eingrenzung zu den wesentlichen Unterformen, Alzheimer Demenz (F00, ca. 60 %), Alzheimer Demenz mit vaskulären Anteilen (F00.2, ca. 15 %), vaskuläre Demenz (F01, ca. 15 %), frontotemporale und seltene degenerative Demenzen (F02, ca. 10 %) zu erhalten. Diese Arbeitsteilung ist sinnvoll, da zur Differenzialdiagnose der Demenzursache größere neuropsychologische und klinische Untersuchungen sowie eine Bildgebung benötigt werden. Innovative Angebote werden dabei zum Beispiel auch von der AOK Baden-Württemberg in Kooperation mit der Universitätsklinik Freiburg entwickelt und für ihre Versicherten vorgehalten. Einrichtungen wie die Freiburger Memory Ambulanz erlauben durch den kombinierten Zugriff auf psychiatrisches, neurologisches, neuropsychologisches, internistisches und sozialmedizinisches Wissen eine umfangreiche Diagnostik, Behandlungs- und Versorgungsplanung innerhalb eines Besuches (www.aok.de/bawue/rd/129025.htm).
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass bereits jetzt in der klinischen Praxis ein auch flächendeckend implementierbares Standardvorgehen existiert, mit hoher Sensitivität und Spezifität eine Demenzerkrankung im ersten Jahr der Merkfähigkeitsstörung zu diagnostizieren.
Das Instrumentarium der Frühdiagnostik ist in den letzten Jahren stark angewachsen und gut evaluiert worden. So stehen z. B. aus der vom BMBF unterstützten AgeCoDe-Studie umfangreiche Normwerte für Deutschland zu der in Demenzzentren und Schwerpunktpraxen am häufigsten angewandten neuropsychologischen Testbatterie bereit (Luck et al., 2009). Unter Einbezug einer Nervenwasseruntersuchung (Liquorpunktion) oder Positronenemmissionstomographie (PET, Untersuchung des Stoffwechsels mit Glukose oder mit einem Kontrastmittel für Alzheimertypische Ablagerungen) ist im Prinzip sogar im symptomarmen Vorlauf des Auftretens einer Demenz eine sichere Diagnose möglich.

Die Therapie der Demenzerkrankungen
ist zur Zeit noch unbefriedigend
Bisher zugelassene Antidementiva beeinflussen die Neurotransmitter und haben einen moderaten Nutzen, der durch das Fortschreiten der Demenzerkrankung aber nach einigen Monaten eingeholt wird (www.iqwig.de/download/A05-19A_Abschlussbericht_Cholinesterasehemmer_bei_Alzheimer_Demenz.pdf).
Eine Beschränkung der Therapie auf 6 Monate ist eine falsch verstandene, aber wohl oft praktizierte Vorgehensweise. Auch wenn der Patient nach 6 Monaten wieder so beeinträchtigt wie bei Beginn der Therapie wirkt, muss bei einer progredienten Erkrankung dies trotzdem als Erfolg gesehen werden. In Deutschland erhalten zurzeit ca. 23 % der erkrankten Versicherten der gesetzlichen Krankenkasse eine Therapie mit einem zugelassenen Antidementivum (Insight Health 2008). Eine frühe Diagnosestellung sowie ein offenerer Umgang mit der Diagnosemitteilung an die Betroffenen und Angehörigen wird voraussichtlich eine höhere Nachfrage nach verordnungsfähigen Antidementiva bewirken. Bei ca. 1 Million Menschen mit einer Alzheimer Demenz und Tagestherapiekosten zwischen 3 bis 4 Euro wären Ausgaben in einem Volumen von ca. 1,2 Mrd. Euro pro Jahr denkbar, eine Versechsfachung der jetzigen Aufwendungen für diese Medikamente. Ab November 2010 laufen erste Patente von zugelassenen Antidementiva ab, so dass ab diesem Zeitpunkt preisreduzierte Generika für Antidementiva erwartet werden können.
Die Wirksamkeit der Therapien in den Grenzbereichen leichte kognitive Störung/beginnende Demenz sowie im Stadium der schweren Demenz muss jedoch skeptisch gesehen werden. Untersuchungen bei leichten kognitiven Störung ergaben keinen Anhalt, dass ein Einsatz der zurzeit verfügbaren Antidementiva bereits bei leichten Merkfähigkeitsstörung sinnvoll ist (Raschetti et al., 2007).
Im Gegensatz zu den diagnostischen Verfahren ist in den letzten zehn Jahren kein neues Therapieprinzip bis zur Zulassung entwickelt worden. Hemmer der Aggregation (Alzhemed®) und der Synthese (Flurizan®) des alzheimer-typischen Aß-Peptids scheiterten in großen konfirmatorischen Studien mit weit über tausend Teilnehmern. Aus den mehr als 70 weltweit durchgeführten Studien zur Alzheimer Demenz könnte am ehesten Dimebon, eine Zufallsweiterentwicklung eines früher in Russland zugelassen Medikamentes, sowie aktive und passive Impfansätze gegen das Aß-Peptid in den nächsten Jahren zugelassen werden. Die Ergebnisse konfirmatorischer Studien stehen jedoch noch aus.

Die häusliche Versorgung ist durch den Wandel der
Haushaltsstruktur gefährdet.
Weiterhin sind hauptsächlich Ehepartner, Töchter und Schwiegertöchter in die häusliche Betreuung und Pflege von Demenzpatienten eingebunden. Während 1996 nur 21 % der betreuenden Angehörigen männlich waren, ist dieser Anteil auf 40 % im Jahre 2008 gestiegen (Brodaty et al., 2009). Die größte häusliche Versorgungswahrscheinlichkeit haben weiterhin verheiratete Männer mit einer Demenz. Die Zunahme von Einzelhaushalten aufgrund von Verwitwung und Trennungen sowie der Ausfall von Kindern als betreuende Angehörige durch geographische Trennung oder Kinderlosigkeit wird in den kommenden Jahren die Verfügbarkeit möglicher pflegender Angehöriger begrenzen. Ob alternative Wohnformen (nichtverwandtschaftliche Mehrgenerationenhäuser, Wohngemeinschaften) im Alter eine entsprechende informelle soziale und pflegerische Unterstützung gewährleisten, wird sich erweisen müssen. Die Ergänzungen im Pflegeversicherungsgesetz um zusätzliche Leistungen für im häuslichen Bereich wohnende Demenzpatienten kann hierbei nur im geringen Maße unterstützend wirken. Auch die Auswirkungen und Nachhaltigkeit eines Bürgerschaftlichen Engagements, z. B. im Sinn der von der Robert-Bosch-Stiftung geförderten Aktion demenzfreundliche Kommune, bleibt abzuwarten (http://www.aktion-demenz.de).
Sollte bei einer leichten Demenz anfänglich eine Betreuung im häuslichen Bereich möglich sein, so sind im weiteren Verlauf neben der zunehmenden Schwere der Demenz insbesondere aggressive Verhaltensweisen und Inkontinenz Risikofaktoren für eine Pflegeheimaufnahme (Luppa et al., 2008). Mehr als die Hälfte aller neu in ein Pflegeheim aufgenommenen Personen leiden bereits an einer deutlichen Demenz bei Aufnahme. Während bei guter Mobilität als Alternative zur hausärztlichen Versorgung der fachärztliche Zugang älteren Menschen im Prinzip offen steht, ist nach dem Verlust der Mobilität eine fachärztliche Versorgung im Pflegeheim oft nicht gegeben. Psychopharmaka gehören zu den häufigsten im Pflegeheim eingesetzten Medikamenten, wobei Verschreibungen oft hausärztlicherseits durchgeführt werden. Die hohe Rate an sedierenden Psychopharmaka bei Demenzpatienten (ca. 30% aller Pflegeheimbewohner mit Demenz) hat mit Veröffentlichung des GEK-Arzneimittelreports 2009 erneut die Diskussion der fachlichen Supervision des Einsatzes von psychiatrischen Medikamenten bei Demenzpatienten angeregt (www.gek.de/x-medien/dateien/magazine/GEK-Arzneimittel-Report-2009.pdf). Eine Alternative zum Einsatz sedierender Medikamente könnte auch eine Milieugestaltung sowie kontinuierliche Supervision eines Pflegeheimbereiches für Demenzkranke durch einen Psychiater, eine psychiatrische Institutsambulanz oder ein geriatrisches Zentrum sein. Eine fachlich adäquate Behandlung der Menschen mit einer Demenz und ihrer Komplikationen wie Verwirrtheitszuständen oder aggressiven Verhaltensänderungen ist zur Vermeidung akuter Krankenhausaufnahmen dringend notwendig, da ein akuter Umgebungswechsel meist noch eine Symptomzunahme provoziert. Psychiatrische Fachabteilungen sind wegen der stationären Aufnahme dieser Patienten, die im zugespitzten Akutfall dann nicht mehr ambulant behandelbar sind, teils über die Grenze ihrer Kapazität gefordert. Eine verbesserte fachliche ambulante Behandlung sowie auch die Einrichtung kombiniert gerontopsychiatrisch-somatischer Stationen zur Betreuung von im Rahmen stationärer Aufenthalte auffällig werdender Demenzpatienten erscheint dringend geboten. Entsprechende Konzepte werden zum Beispiel im Rahmen der Weiterentwicklung des baden-württembergischen Landesgeriatriekonzepts diskutiert. Aufgabe der geriatrischen Schwerpunkte und Zentren im Rahmen dieses Konzeptes muss es sein, die Notwendigkeit akuter Verlegungen aus dem Heimbereich oder somatischen Kliniksbereich in gerontopsychiatrische stationäre Einrichtungen durch frühzeitiges Erkennen und Behandeln einer entgleisenden Demenzerkrankung zu vermeiden.
Die Versorgung von Demenzerkrankungen wird in den nächsten Jahren insbesondere auf drei Ebenen eine Herausforderung darstellen: 1) der Entwicklung einer effektiven, den Verlauf der Erkrankung bremsenden Therapie, 2) der Versorgung zum Verbleib im häuslichen Umfeld und 3) der Vermeidung von symptomprovozierenden stationären Aufnahmen durch eine entgleisende demenzielle Symptomatik. <<