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Versorgungsprofil der Patienten mit Ergotherapie-Verordnungen in niedergelassenen Praxen

Die positiven Effekte solcher ergotherapeutischer Interventionen, die idealerweise in der häuslichen Umgebung stattfinden, konnten von Graff und Kollegen in einer Studie nachgewiesen werden, wo sich nicht nur die Alltagskompetenz der Erkrankten, sondern auch die Lebensqualität sowohl von Demenzpatienten als auch pflegender Angehöriger verbesserte (8,9). Als weiteren Bereich, bei dem die Ergotherapie eine zentrale Rolle in der Behandlung einnimmt und entsprechend in den Leitlinien gelistet ist, sind rheumatische Krankheiten zu nennen, wie z.B. die rheumatoide Arthritis, die Psoriasisarthritis und die Spondylarthritiden (5). Obgleich positive Effekte ergotherapeutischer Maßnahmen bei diesen Erkrankungen gezeigt werden konnten, fand sich eine abnehmende Tendenz von Heilmittelverordnungen für Rheumakranke in den letzten Jahren (10). Die Ursachen hierfür liegen laut Thieme et al. vermutlich in der Budgetierung der Heilmittel verbunden mit der Angst vor Regressforderungen der Krankenkassen, in der Kompliziertheit der Heilmittelverordnung bei Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen, in der geringen Wertschätzung und/oder vermeintlich geringen Evidenz physikalischer Therapien sowie in der langen Zeitkonstante bis zum erkennbaren Wirkungseintritt (10). Das Ziel des vorliegenden Artikels war es deshalb, das Versorgungsprofil der Patienten mit Ergotherapie-Verordnungen in einem 5-Jahres-Zeitraum darzustellen. Hierfür wurden neben der Altersstruktur das Geschlechtsverhältnis, der Lebensraum (Stadt/Land), der Versicherungsstatus sowie die Diagnosen der Patienten untersucht.

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Erstveröffentlichungsdatum: 24.01.2013

Abstrakt: Versorgungsprofil der Patienten mit Ergotherapie-Verordnungen in niedergelassenen Praxen

Die Ergotherapie spielt als Teil der physikalischen Therapien eine wichtige Rolle in multimodalen Konzepten bei der Behandlung einer Vielzahl von Erkrankungen. In der vorliegenden Studie wurden die Überweisungen zur Ergotherapie in einem 5-Jahres-Zeitraum analysiert und hierbei die Daten von insgesamt 3.410 Patienten im Hinblick auf allgemeine Charakteristika wie Alter, Geschlecht, Versicherungsstatus und Region (städtische/ländliche Region) sowie auf die zur Verschreibung führende Diagnose untersucht. Während Hausärzte neben jüngeren (< 20 Jahren) auch ältere Patienten jenseits des 51. Lebensjahres überwiesen, waren dies bei Orthopäden und Neurologen fast ausschließlich ältere Menschen, wobei insgesamt die meisten Diagnosen aus dem orthopädischen bzw. neurologisch-psychiatrischem Krankheitsspektrum stammten. Verglichen mit dem Anteil städtisch wohnender Patienten des Klientels von Hausärzten und Orthopäden, war der Anteil von in der Stadt lebenden Menschen unter den Ergotherapie-Patienten geringer, was möglicherweise durch eine zunehmende Spezialisierung von Haus- und Fachärzten in Städten bedingt ist, während diese auf dem Land den „Durchschnitt“, also ein breites Patientenspektrum, behandeln. Umgekehrt war es bei Pädiatern, was wiederum mit logistischen Gründen bedingt durch eine geringe Versorgungsdichte mit ergotherapeutischen Praxen auf dem Land zu tun haben könnte. Es zeigte sich zudem, dass insbesondere Privatpatienten ergotherapeutische Behandlungen verschrieben bekamen, was möglicherweise Folge einer Budgetierung der Heilmittel sowie einer vermeintlich geringen Evidenz ergotherapeutischer Therapien ist. Das wird insbesondere deutlich, wenn der Anteil der Privatversicherten unter Ergotherapie-Patienten mit dem Anteil der Privatversicherten in der Grundgesamtheit vergleicht (z.B. bei Hausärzten 20% versus 7%, bei Orthopäden 70% versus 10%). Hier sollte eine zunehmende Aufklärung von Patienten und Ärzten erfolgen, damit die Ergotherapie den ihr gebührenden Stellenwert als nicht-pharmakologische Therapie im Rahmen eines multimodalen Konzeptes erfährt. Zusätzlich sollte die Bedeutung der Ergotherapie den Medizinstudenten verdeutlicht werden, denn das ist noch nicht ausreichend in der Grundausbildung der angehenden Ärzte und somit Verordnern, verankert.

Abstract: Treatment profile of patients with prescriptions of occupational therapy in primary care practices

Occupational therapy plays an important role within multimodal concepts in the treatment of a variety of diseases. In the present study we analyzed 3,410 patients with referrals for occupational therapy from the Disease Analyzer database within a 5-year-period and assessed data with regard to general characteristics such as age, gender, health insurance status and urban residency (rural/urban) as well as diagnoses that led to referral. We found out that general practitioners referred both young (< 20 years of age) and older patients (> 50 years of age) to occupational therapy while orthopedics and neurologists referred mainly elderly people. Most diagnoses derived from either orthopedic or neurologic-psychiatric diseases. The share of urban living occupational therapy patients was smaller when compared with the proportion of urban living patients from general practitioners and orthopedics, which might be due to an increasing specialization of general practitioners and consultants in cities, while they treat a broad spectrum in rural areas. The exact opposite was seen in pediatrics, which might be due to logistic reasons and a smaller density of practices prescribing occupational therapy in rural areas. Moreover, the study showed that especially private patients were referred to occupational therapy, probably as a consequence of budgeting of modalities or an assumed lower evidence of occupational therapy interventions. Patients and doctors are in need of further education in order to emphasize the importance of occupational therapy its role as an important health care service within a multimodal concept.

Literatur

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Zusätzliches

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Versorgungsprofil der Patienten mit Ergotherapie-Verordnungen in niedergelassenen Praxen

Die positiven Effekte solcher ergotherapeutischer Interventionen, die idealerweise in der häuslichen Umgebung stattfinden, konnten von Graff und Kollegen in einer Studie nachgewiesen werden, wo sich nicht nur die Alltagskompetenz der Erkrankten, sondern auch die Lebensqualität sowohl von Demenzpatienten als auch pflegender Angehöriger verbesserte (8,9). Als weiteren Bereich, bei dem die Ergotherapie eine zentrale Rolle in der Behandlung einnimmt und entsprechend in den Leitlinien gelistet ist, sind rheumatische Krankheiten zu nennen, wie z.B. die rheumatoide Arthritis, die Psoriasisarthritis und die Spondylarthritiden (5). Obgleich positive Effekte ergotherapeutischer Maßnahmen bei diesen Erkrankungen gezeigt werden konnten, fand sich eine abnehmende Tendenz von Heilmittelverordnungen für Rheumakranke in den letzten Jahren (10). Die Ursachen hierfür liegen laut Thieme et al. vermutlich in der Budgetierung der Heilmittel verbunden mit der Angst vor Regressforderungen der Krankenkassen, in der Kompliziertheit der Heilmittelverordnung bei Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen, in der geringen Wertschätzung und/oder vermeintlich geringen Evidenz physikalischer Therapien sowie in der langen Zeitkonstante bis zum erkennbaren Wirkungseintritt (10). Das Ziel des vorliegenden Artikels war es deshalb, das Versorgungsprofil der Patienten mit Ergotherapie-Verordnungen in einem 5-Jahres-Zeitraum darzustellen. Hierfür wurden neben der Altersstruktur das Geschlechtsverhältnis, der Lebensraum (Stadt/Land), der Versicherungsstatus sowie die Diagnosen der Patienten untersucht.

>> Für die vorliegende Studie wurden die anonymen Daten aus der IMS Disease Analyzer-Datenbank verwendet. Neben Allgemeinmedizinern und Internisten werden in Deutschland auch Daten verschiedener Facharztgruppen erfasst. Die Datenbank bietet pro Praxis eine vollständige Auflistung aller relevanten Patienteninformationen. Die direkt aus den Praxiscomputern gewonnenen Daten werden auf Plausibilität geprüft, mit relevanten Zusatzinformationen wie Preis eines Medikamentes, ATC- und ICD-Codierung verknüpft und monatlich aktualisiert. Die Datenbank enthält nur anonymisierte Daten entsprechend den Datenschutzrichtlinien. Es ist keine Identifizierung der einzelnen Ärzte oder Patienten möglich (11).
Die Repräsentativität der Disease Analyzer-Datenbank wurde wissenschaftlich untersucht und bewiesen (11). Wissenschaftliche Studien, die auf den Daten aus der „Disease Analyzer“-Datenbank basieren und in den meisten Fällen in Zusammenarbeit mit den Universitäten und Forschungszentren durchgeführt wurden, behandelten verschiedene Krankheitsbilder wie zum Beispiel Diabetes mellitus, Hypertonie, Depression, Osteoporose sowie Erkrankungen im Kindesalter.
Die vorliegende Studie umfasste 3.410 Patienten, die von ihrem Hausarzt, Orthopäden, Neurologen, Pädiater oder Psychiater/Kinderpsychiater aufgrund unterschiedlicher Indikationen zwischen 2008 und 2012 eine Verschreibung zur ergotherapeutischen Behandlung erhielten. 39% (n= 1.330) der Patienten waren weiblich, wobei das durchschnittliche Alter aller Studienteilnehmer 36,6 Jahre betrug. Neben dieser allgemeinen Patientencharakteristika wurden auch deren Versicherungsstatus (Privatversicherung versus gesetzliche Krankenversicherung) sowie deren Lebensraum (Land versus Stadt, wobei Stadt mit > 100.000 Einwohner definiert wurde) evaluiert. Ferner wurden die Diagnosen, aufgrund derer die Ergotherapie verordnet wurde, erfasst, wobei die Hauptindikationen aus dem Bereich Bewegungsapparat (z.B. Wirbelsäulenerkrankungen oder Knochen-, Gelenk- und Weichteilerkrankungen) bzw. Neurologie/Psychiatrie (z.B. ZNS-Schädigungen oder Demenz) stammten.
Ergebnisse
Abbildung 1 zeigt die Altersstruktur der Patienten, die vom Hausarzt (n= 1.572), Orthopäden (n= 561) bzw. Neurologen (n= 346) zur Ergotherapie überwiesen wurden. Hierbei fällt auf, dass vom Hausarzt häufig junge (< 20 Jahre) oder Patienten jenseits des 51. Lebensjahres eine ergotherapeutische Verordnung erhielten, während die Patienten bei den Orthopäden und Neurologen durchgehend zumeist älter waren (51-80 Jahre). Das mittlere Patientenalter dieser drei Vergleichsgruppen unterschied sich insgesamt nicht signifikant (p> 0.05). Analog zeigt Abbildung 2 die Altersstruktur der von Pädiatern und Psychiatern/Kinderpsychiatern überwiesenen Patienten, die entsprechend ein deutlich niedrigeres mittleres Alter aufwiesen (7,6 bzw. 13,9 Jahre). Insgesamt wurde die Ergotherapie hier besonders Kindern im Alter zwischen 6 und 10 Jahren verordnet. Während das Geschlechterverhältnis bei den ergotherapeutischen Überweisungen von Hausärzten, Orthopäden und Neurologen annähernd 50:50 war (Abbildung 3), fand sich bei den Pädiatern und Psychiatern/Kinderpsychiatern eine deutliche Diskrepanz zugunsten des männlichen Geschlechts von mehr als 70:30. Das Patientenklientel, welches vom Orthopäden eine Verordnung zur Ergotherapie erhielt, war zu fast 70% privat versichert, während es bei den Psychiatern/Kinderpsychiatern nur 3,1% waren (Abbildung 4). Der Anteil privat versicherter Patienten war auch bei Pädiatern (18,5% Privatversicherte), Hausärzten (20%) und Neurologen (30,1%) sehr hoch. Abbildung 5 gibt den Lebensraum der Patienten wieder und zeigt, dass fast 95% der psychiatrischen Patienten in der Stadt lebten, während dies bei Orthopäden nur 15,5% waren. Entsprechend ihres Fachgebiets überwiesen Orthopäden ihre Patienten besonders aufgrund der Diagnose „Wirbelsäulenerkrankungen“ (33,7%) und „Knochen-, Gelenk- und Weichteilerkrankungen“ (43,7%) zur Ergotherapie. Hingegen kamen die Patienten von Hausärzten, Neurologen, Pädiatern und Psychiatern/Kinderpsychiatern vor allem aufgrund von Erkrankungen aus dem neurologisch-psychiatrischen Spektrum zur ergotherapeutischen Behandlung, wobei hier besonders „ZNS-Schädigungen“ und „geistige und psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter“ häufige Diagnosen waren (Tabelle 1).
Diskussion
Wir untersuchten in der vorliegenden Studie die Diagnosen für die Patienten mit ergotherapeutischen Verordnungen zwischen 2008 und 2012 von Hausärzten, Orthopäden, Neurologen, Pädiatern und Psychiatern/Kinderpsychiatern und analysierten Charakteristika von 3.410 betroffenen Patienten. Hierbei fanden wir bei der Geschlechtsstruktur eine deutliche Diskrepanz zu Gunsten des männlichen Geschlechts bei den von Pädiatern und Psychiatern/Kinderpsychiatern überwiesenen Patienten von mehr als 70%. Eine Erklärung hierfür könnte z.B. die in manchen Studien nachweisbare, höhere Prävalenz des Aufmerksamkeits-Defizit-Syndroms (ADHS) bei Jungen sein (12,13), was unter die häufigste Diagnose dieser beiden Fachrichtungen, nämlich „geistige und psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter“, fällt. Bei den drei anderen Fachrichtungen (Hausärzte, Orthopäden, Neurologen) fanden sich keine relevanten Unterschiede in der Geschlechtsstruktur, was wiederum zu der genannten These passt, da hier vor allem Patienten jenseits des 50. Lebensjahres zur ergotherapeutischen Behandlung überwiesen wurden.
Mit Ausnahme der Verordnungen von Psychiatern/Kinderpsychiatern war der Anteil Privatversicherter unter den Ergotherapie-Patienten deutlich höher als der Bundesdurchschnitt von 7%. Dies war besonders bei den Orthopäden auffällig, wo der Anteil Privatversicherter fast 70% betrug. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig: zum Einen mag es an der Budgetierung der Heilmittel und der Angst vor Regressforderungen der gesetzlichen Krankenversicherungen liegen, zum Anderen aber auch an der Kompliziertheit der Heilmittelverordnung bei Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen oder der langen Zeitkonstanten bis zum sichtbaren Wirkungseintritt (5), was sowohl die Motivation der Verschreibenden als auch der Patienten negativ beeinflussen und zu mangelnder Compliance führen könnte. Möglicherweise spielen hierbei auch Faktoren wie die geringe Wertschätzung dieser Therapieform und eine vermeintlich geringe Evidenz für die Wirkung eine Rolle, wobei Letzteres u.a. bedingt ist durch eine große Heterogenität der Qualität von Studien, durch methodische Schwierigkeiten oder auch die Tatsache, dass es für viele ergotherapeutische Interventionen keinen Endpunkt im engeren Sinne gibt. Zusätzlich mögen auch geringe Kenntnisse bezüglich der Einsatzmöglichkeiten der Ergotherapie mit eine Ursache sein, wie dies bereits von Engel im Zusammenhang mit rheumatologischen Patienten gemutmaßt wurde (5). Eventuell hat auch der Bildungsstand privatversicherter Patienten, die oftmals eine höhere Ausbildung aufweisen, einen Einfluss, so dass vermehrt nach nicht-pharmakologischen, komplementären Therapien verlangt wird.
Es verwundert nicht, dass Patienten, die vom Psychiater/Kinderpsychiater zur Ergotherapie über-
wiesen wurden, fast ausschließlich in der Stadt wohnten, da die unterschiedliche Versorgungsdichte in Stadt und Land bei Fachärzten für Psychiatrie besonders ausgeprägt ist (14). Interessant ist, dass der relative Anteil der Ergotherapie-Patienten, die städtisch lebten, höher war, als dies in der Datenbank bei den Hausärzten und Orthopäden verzeichnet war. So fand sich bei den Orthopäden ein Anteil von 46% in der Stadt wohnender Patienten, während der Anteil städtisch lebender Menschen unter den Ergotherapie-Patienten hier nur 16% betrug, d.h., es fanden sich überdurchschnittlich viele Patienten, die auf dem Land lebten. Warum dies bei Hausärzten und Orthopäden so ist, kann nur spekuliert werden. Ein Grund könnte ein höherer Grad an Spezialisierung in Großstädten sein, wie dies bereits in einer Studie zu Antidementivaverordnungen angenommen wurde („Spezialisierungs- und Segmentierungshypothese“) (15,16). So haben niedergelassene Ärzte in Großstädten eine relativ gute Möglichkeit, durch ein entsprechendes Leistungsportfolio eine bestimmte Patientengruppe an sich zu binden, wobei dies nicht nur für Fachärzte, sondern auch für Allgemeinmediziner zutrifft, die teilweise beispielsweise vorwiegend psychotherapeutisch tätig sind (15). Kollegen in ländlichen Regionen hingegeben sind vermutlich gezwungen, auf alle ihnen zugewiesenen Patienten zu reagieren, so dass sie nicht nur einzelne Segmente der Versichertenpopulation sondern auch den „Durchschnitt“ betreuen.
Während es bei den Neurologen keine relevanten Unterschiede des Anteils städtisch lebender Menschen zwischen der Datenbank und unter den Ergotherapie-Patienten gab, zeigte sich bei den Pädiatern der umgekehrte Fall wie bei den Hausärzten und Orthopäden. Hier betrug der Anteil der Patienten aus der Stadt 42% und unter den ergotherapeutisch Behandelten 59%. Eine mögliche Erklärung wäre, dass vor allem Kinder aus der Stadt zur Ergotherapie überwiesen wurden, z.B., um durch eine gezielte Beschäftigungstherapie ein ADHS oder eine sonstige geistige oder psychische Störung zu behandeln. Auch kann es sein, dass aufgrund logistischer Gründe keine regelmäßige ergotherapeutische Therapie für manche ländlich lebenden Kinder möglich war, da dort die Versorgungsdichte nicht so hoch wie in den Städten war. An dieser Stelle soll auf eine wichtige Studienlimitation hingewiesen werden. Wir definierten Regionen mit weniger als 100.000 Einwohnern als ländlich, obwohl eine solche Einteilung sicherlich nicht differenziert genug ist, um rein ländliche Gebiete angemessen zu erfassen. So gibt es sicherlich Abweichungen in der Versorgungsdichte und –qualität zwischen verschiedenen ländlichen Regionen, was sich auch in der Uneinheitlichkeit der Beschreibung der Versorgungsunterschiede zwischen Land und Stadt widerspiegelt. Während Donath et al. beim Vergleich hausärztlicher Praxen auf dem Land und in der Stadt lediglich auf einen erschwerten Zugang zur bildgebenden Diagnostik wie MRT oder CT in ländlichen Regionen hinwiesen, sich sonst aber keine relevanten Unterschiede in klinischer Diagnostik oder Therapie zeigten (17), konnten Koller et al. nachweisen, dass die Möglichkeiten, einen Neurologen zu konsultieren, in ländlichen Regionen limitiert waren (18). Eine weitere Einschränkung ist, dass die Patienten in nur einer Praxis und nicht arztübergreifend analysiert werden können, so dass die Ergotherapie-Verordnungen nur dann erfasst werden, wenn sie von dem erfassten Arzt getätigt sind.
Schlussfolgerung
Unsere Studie über Patienten mit ergotherapeutischen Verschreibungen in einem 5-Jahres-Zeitraum zeigte, dass vor allem Privatpatienten zur Ergotherapie überwiesen wurden und dass Verordnungen von Pädiatern bevorzugt von der städtischen Bevölkerung in Anspruch genommen wurden, während es bei Hausärzten und Orthopäden genau umgekehrt war. Die Gründe hierfür liegen möglicherweise u.a. in der Budgetierung der Heilmittel sowie einer Arzneigläubigkeit von Ärzten und Patienten und hat zur Folge, dass insbesondere gesetzlich Versicherten ergotherapeutische Behandlungen vorenthalten bleiben, obgleich ihr Nutzen z.B. bei rheumatologischen Erkrankungen nachgewiesen ist. Hier ist eine Aufklärung von Ärzten und Patienten notwendig, damit die Ergotherapie den ihr gebührenden Stellenwert als nicht-pharmakologische Therapieform zuerkannt bekommt. Zusätzlich sollte die Bedeutung der Ergotherapie den Medizinstudenten verdeutlicht werden, denn das ist noch nicht ausreichend in der Grundausbildung der angehenden Ärzte und somit Verordnern, verankert. Die ärztliche Verordnung im Ganzen und die Gatekeeper-Funktion der Hausärzte im Speziellen nimmt, wie bereits dargestellt, einen erheblich Einfluss auf therapeutische Erfolge der Patienten ein. Daher ist die Konzentration auf mögliche Informationslücken und Aufklärungsarbeiten hinsichtlich therapeutischer Maßnahmen seitens der Ärzte zu fokussieren. Eine frühzeitige Integration nicht-pharmakologischer Therapieformen wie der Ergotherapie in die medizinische Ausbildung könnte zur Etablierung jener therapeutischer Alternativen dienen, die durch wissenschaftliche Studien belegt sind, und somit zu einer verbesserten Lebensqualität der betroffenen Patienten unabhängig des Alters, der Regionen und der Versicherungsstatus führen können. <<