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Von Portfolio- zu Wirkstoffverträgen - Werden Aspekte einer adäquaten Versorgung berücksichtigt?

Seit dem Jahr 2003 können Krankenkassen individuelle Rabattverträge mit pharmazeutischen Herstellern schließen. Aufgrund einer veränderten Rechtslage müssen seit Anfang 2009 Arzneimittelrabattverträge in Form von Wirkstoffverträgen europaweit ausgeschrieben werden, sofern der dadurch abgedeckte Umsatz 193.000 Euro übersteigt. Der Wechsel von frei ausgehandelten so genannten Portfolioverträgen hin zu Ausschreibungen hat in der Versorgungsrealität zu verschiedenen Problemen geführt. Der vorliegende Artikel beleuchtet das Thema aus verschiedenen Perspektiven und gibt Hinweise darauf, wie es unter Einbezug aller Beteiligten gelingen kann, Rabattverträge reibungsarm in die (Regel‑)Versorgungslandschaft zu integrieren.

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Erstveröffentlichungsdatum: 17.10.2010

Abstrakt: Von Portfolio- zu Wirkstoffverträgen - Werden Aspekte einer adäquaten Versorgung berücksichtigt?

Seit dem Jahr 2003 können Krankenkassen individuelle Rabattverträge mit pharmazeutischen Herstellern schließen. Aufgrund einer veränderten Rechtslage müssen seit Anfang 2009 Arzneimittelrabattverträge in Form von Wirkstoffverträgen europaweit ausgeschrieben werden, sofern der dadurch abgedeckte Umsatz 193.000 Euro übersteigt. Der Wechsel von frei ausgehandelten so genannten Portfolioverträgen hin zu Ausschreibungen hat in der Versorgungsrealität zu verschiedenen Problemen geführt. Der vorliegende Artikel beleuchtet das Thema aus verschiedenen Perspektiven und gibt Hinweise darauf, wie es unter Einbezug aller Beteiligten gelingen kann, Rabattverträge reibungsarm in die (Regel‑)Versorgungslandschaft zu integrieren.

Abstract: Rebate Agreements with Pharmaceutical Companies in German Statutory Health Insurance Funds

Since 2003 German statutory health insurance funds are allowed to contract rebate agreements with pharmaceutical companies for therapeutic drugs. For contracts exceeding a volume of 193,000 EUR rebate agreements have to be contracted via an official call for tenders: This rule was introduced in 2009. In the beginning the implementation of contracts, which are based upon public tender offers, has lead to some problems. Especially in public pharmacies the supply of relevant medication was affected to some extent. This article shows how it can be managed, to reduce these problems, when new contracts are introduced into the public medical care in Germany.

Literatur

Amtliche Statistik KV45, Stand 10.03.2010 apotheke adhoc (2010): http://www.apotheke-adhoc.de/Branchennews/10142.html (abgerufen am 19.April 2010) BMG – Bundesministerium für Gesundheit (2009), Daten des Gesundheitswesens 2009, Berlin DAV – Deutscher Apothekerverband (2009a), Pressemitteilung vom 23.12.2009 DAV – Deutscher Apothekerverband (2009b), Frühinformation vom Dezember 2009 GKV-Spitzenverband (2010): GKV-Arzneimittel-Schnellinformation, http://www.gkv-gamsi.de/Home.gkvnet: GKV-Arzneimittel-Schnellinformation (abgerufen am 1.2.2010) Kojda, G./Hafner, H. (2008): Bedenkenloser Austausch bei problematischen Arzneistoffen und Therapien?, in: Pharmazeutische Zeitung 2008, 153, 2532-2536 Neises, G./Menges, A./Palsherm, I./Stangl, J./Schneider, C./Bausch, J. (2009): Machen Rabattverträge krank?, in: Pharmazeutische Zeitung 2009, 154, 4490-4492 Schwabe, U./Paffrath, D. (2009): Arzneiverordnungsreport 2009. Heidelberg: Springer Medizin Verlag Statistisches Bundesamt (2010), Verbraucherpreisindex für Deutschland - Veränderungsraten zum Vorjahr in %, http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Zeitreihen/WirtschaftAktuell/Basisdaten/Content100/vpi101j.psml (abgerufen am 26.04.2010)

Plain-Text

Von Portfolio- zu Wirkstoffverträgen - Werden Aspekte einer adäquaten Versorgung berücksichtigt?

Der Großteil der aktuellen Rabattverträge (gemeint sind Vereinbarungen aufgrund von §130a a Abs. 8 SGB V) entfaltet zunächst seine Wirkung unmittelbar auf die beliefernden Apotheken und wird dort überwiegend kritisch beurteilt. Die Kritik liegt zum Teil darin begründet, dass sich nach der Einführung der Rabattverträge ein erhöhter Aufwand für die Administration und die häufig schwierigen Gespräche mit Patienten ergeben hat. Neben dem kommunikativen Geschick ist hier die pharmazeutische Kernkompetenz gefragt – dann, wenn es um die Aut-idem-Substitution und die Austauschbarkeit im Einzelnen geht.

>> Für den verordnenden Arzt war es neu, dass – nach exakter Festlegung der Therapie durch Wirkstoff, Wirkstärke, Dosierung und Menge durch ihn selbst – die Auswahl des Arzneimittels durch den Apotheker erfolgt und dies in dem engen Rahmen, den die jeweilige Krankenversicherung durch ihr Vertragsportfolio vorgibt. Dadurch gestaltet sich unter anderem die Patientenführung und Erhaltung der Therapieadhärenz anspruchsvoller. Eine optimale, patienten- und kostenträgerbezogene Darstellung der Vertragslandschaft und eine darauf hin angepasste einfache Bedienung der Praxis-EDV können die Arbeit des Arztes erleichtern, leider haben Systeme, die diesem Anspruch gerecht werden, aber noch keinen Einsatz in der vollen Breite gefunden.
Die Wahrnehmung der Rabattverträge aus Sicht des Patienten wurde in den Medien hinreichend dargestellt, so dass wir uns bei der vorliegenden Betrachtung auf die Leistungserbringer- und Kostenträgerseite fokussieren.
Den ärztlichen und pharmazeutischen Fachkreisen ist häufig nicht bewusst, dass die neue Vertragslandschaft auch die Krankenkassen vor Herausforderungen stellt: Zunächst bei der Ausgestaltung von Vertragsstrategien, bzw. mittlerweile beim „Design“ der Ausschreibungen von Rabattverträgen und dann bei der Beratung der Versicherten. Diese hinterfragen nicht selten die Entscheidung des Arztes, die Aut-idem-Substitution freizugeben oder aber den in der Apotheke vorgenommenen Austausch und nehmen dazu direkt Kontakt mit der betroffenen Krankenkasse auf.
Lohnt sich der Aufwand für alle Beteiligten? Um die Antwort vorwegzunehmen: Ja! – Die Verträge sind mittlerweile zu einem finanziellen Muss geworden, über dessen genaue Quantifizierung an dieser Stelle aus Gründen des vertraglichen Vertrauensschutzes nicht eingegangen werden kann. Der DAV (2009a) beziffert die jährlichen Einsparungen von Rabattverträgen für die GKV jedenfalls auf über eine Mrd. Euro.
An dieser Stelle sei, insbesondere angesichts der aktuellen Diskussion, der Hinweis erlaubt, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen keine gewinnorientierten Unternehmen darstellen. Einsparungen durch Hebung von Wirtschaftlichkeitspotenzialen und Rabattverträgen dienen unmittelbar dazu, Beitragseinnahmen (bzw. Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds) sinnvoll zu ergänzen, um zusätzlichen finanziellen Spielraum bei konstanten bzw. seit 2004 sogar rückläufigen Verwaltungskosten (5,4 % aller Ausgaben im Jahr 2008, vgl. BMG (2009)) zu erhalten. Die Mittelverwendung wird nicht nur durch das Bundesversicherungsamt (BVA), sondern mittlerweile auch durch den Bundesrechnungshof geprüft. Der Vorstand der Krankenkasse haftet persönlich für Vermögensschäden, die der Solidargemeinschaft entstehen.
Zwischen 2004 und 2008 sind die Arzneimittelkosten in der GKV bundesweit um 28 % (im Durchschnitt um 7 % pro Jahr) gestiegen. Der Verbraucherpreisindex weist für diesen Zeitraum eine durchschnittliche Steigerung von lediglich 2 % pro Jahr auf (vgl. Statistisches Bundesamt (2009)) – obwohl diese Preissteigerung vom Verbraucher wesentlich deutlicher empfunden wird. Für das Jahr 2009 zeigen die Verordnungsdaten einen Ausgabenanstieg (ohne Ausgaben für Impfstoffe) von 5,9 % gegenüber den Vorjahreswerten (vgl. DAV (2009b)). In den letzten 15 Jahren konnte nur für 2004 ein Rückgang der Kosten gegenüber dem Vorjahr verzeichnet werden, was der neuen Regelung des generellen Verordnungsausschlusses von OTC-Arzneimitteln (auf Grundlage des Gesetzes zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung, kurz GMG) geschuldet war. Aber auch diese Regelung konnte den Arzneimittelausgabenanstieg nicht dauerhaft bremsen, so dass mittlerweile der Anteil der GKV-Ausgaben für Arzneimittel (2009: 30,7 Mrd. Euro) nach den Krankenhausausgaben (56,1 Mrd. Euro) den zweithöchsten Ausgabenblock der gesetzlichen Krankenversicherung – noch vor den Ausgaben für die ärztliche Behandlung (27,8 Mrd. Euro) – darstellt (Amtliche Statistik KV45).
Der Ausgabenanstieg treibt die Gesetzgebung
Um diese stetige und dynamische Ausgabensteigerung einzudämmen, wurde seitens des Gesetzgebers zusätzlich zu den bestehenden regulatorischen Markteingriffen die Option geschaffen, zwischen Krankenkassen und der Pharmazeutischen Industrie Rabattvereinbarungen zu schließen: Eine Möglichkeit, kassenindividuelle Einsparungen jenseits der für alle Krankenkassen geltenden Arzneimittelpreisverordnung und den Preisregulierungen im SGB V, wie z.B. Festbeträgen, Herstellerabschlag und Aut-idem-Substitution, zu erzielen.
Im Jahr 2003 lieferte das Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) mit einem erweiterten § 130a SGB V die gesetzliche Grundlage, die es den Krankenkassen ermöglicht, mit Arzneimittel-Herstellern individuelle Rabattverträge zu schließen. Diese Möglichkeit wurde jedoch kaum genutzt: Zum einen gab es wenig Möglichkeiten für die Krankenkassen, die Umsetzung der Verträge zu steuern, zum anderen bestanden keine Anreize für die Hersteller, den Kassen Rabatte zu gewähren. Aus Sicht der Hersteller war es seinerzeit sinnvoller, den Substitutionsprozess in den Apotheken durch die Gewährung von (Natural-)Rabatten zu eigenen Gunsten zu beeinflussen.
Mit der Einführung des Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittel-Versorgung (AVWG) zum 01.04.2006 wurde in Form des § 7 des Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens (HWG) damit begonnen, Rabatte, die bislang von den pharmazeutischen Herstellern an die Apotheken geleistet wurden, durch ein Verbot von Naturalrabatten und einer engen Begrenzung von Barrabatten zu unterbinden.
Die „Scharfschaltung“ und praktische Umsetzung der Rabattverträge auf der beschriebenen Grundlage wurde zum 01.04.2007 durch das GKV-Wirtschaftlichkeitsstärkungsgesetz (GKV-WSG) erreicht: Eine erweiterte Regelung zur Abgabe von Arzneimitteln in Apotheken (§129 Abs. 1 SGB V) verpflichtet nun die Apotheken, bevorzugt Arzneimittel abzugeben, für die die Krankenkasse des jeweiligen Patienten einen Rabattvertrag geschlossen hat. Damit wurde das ursprüngliche Ziel erreicht, die früher den Apotheken großzügig gewährten Rabatte der Solidargemeinschaft zuzusteuern und zusätzlichen Preiswettbewerb unter den zahlreichen Herstellern von Generika zu erzeugen.
Für die Krankenkassen erfolgte mit dieser Gesetzgebung eine neue Weichenstellung: Erstmals in ihrer Geschichte haben diese die Möglichkeit, die Preise der Arzneimittel durch direkten Vertragsabschluss mit den pharmazeutischen Unternehmern selbst zu beeinflussen und sich untereinander durch unterschiedliche Vertragsportfolios zu differenzieren.
Der Alltag in der Offizin und der Blick in die Apothekensoftware, in der die Rabattvertragsbeziehungen zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Herstellern angezeigt werden, verdeutlicht: Der Großteil der Krankenkassen nutzt die Möglichkeit, zusätzliche Einsparungen über den Abschluss von Rabattverträgen zu generieren. So lagen im September 2009 Daten zu insgesamt 9.830 Rabattvereinbarungen vor, an denen 186 Krankenkassen und 144 pharmazeutische Unternehmer beteiligt waren (vgl. apotheke adhoc (2010)).
Verträge zu patentgeschützten Arzneimitteln:
Nur in Ausnahmefällen von Bedeutung
Vom finanziellen Einsparvolumen, der Marktabdeckung und der Anzahl der Verträge her stellen Rabattverträge im generischen Bereich mit Abstand die bedeutendste Vertragsform dar. Verträge für patentgeschützte Arzneimittel spielen derzeit noch eine untergeordnete Rolle, da auf Seiten der pharmazeutischen Unternehmer hier deutlich weniger Wettbewerb herrscht und in der Folge kaum spürbare Rabatte durch einen Vertragsschluss zu erreichen sind. Hinzu kommt, dass in diesem Bereich zahlreiche Verträge offeriert werden, die eher einseitig dem Interesse der Industrie dienen. So werden z.B. Produktzyklen kurz vor dem Auslaufen des Unterlagenschutzes durch Verträge in diesem Bereich quasi verlängert, Reimporte zurückgedrängt oder durch sogenannte Risk-Sharing-Verträge die Marktposition verbessert. Dementsprechend kritisch sind Vertragsangebote im patentgeschützten Bereich von den Krankenkassen vor Vertragsschluss zu bewerten. Sollten die Pläne des Bundesministeriums für Gesundheit umgesetzt werden, für innovative Arzneimittel - nach Kosten-Nutzen-Bewertung - eine Erstattungshöchstgrenze einzuführen, so könnte dies zu vermehrten Rabattverträgen auch im innovativen Arzneimittelsektor führen, die den Krankenkassen nicht nur einen Scheinvorteil, sondern finanzielle Einsparungen und neue Wege im Versorgungsmanagement eröffnen.
Eine Besonderheit unter den Verträgen im patentgeschützten Sektor stellen Verträge zu Insulinanaloga dar. Die Kosten dieser gentechnisch modifizierten Insuline übersteigen die Kosten herkömmlicher Humaninsuline deutlich und sind gemäß der Arzneimittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nur dann zu Lasten der GKV verordnungsfähig, wenn die Verordnung ohne Mehrkosten im Vergleich zu Humaninsulinen verbunden ist, da gegenüber der konventionellen Therapie kein Zusatznutzen gesehen wird. Während derartige Regelungen für kurzwirksame Insulinanaloga bereits seit geraumer Zeit gelten, ist für die Gruppe der lang wirkenden Insulinanaloga ein entsprechender Beschluss des G-BA erst seit kurzem gefasst worden. Die Beschlüsse des G-BA führen dazu, dass erst durch das Schließen von Verträgen zwischen Kassen und den pharmazeutischen Herstellern, die das Preisniveau auf die herkömmliche Humaninsulinversorgung absenken, eine Versorgung von GKV-Versicherten mit Insulinanaloga ermöglicht wird. Die Erträge der beteiligten Hersteller werden so zwar auf dem deutschen Markt vermindert, jedoch bleibt der eigentliche Apothekenverkaufspreis als Referenzpreis für den internationalen Arzneimittelvertrieb erhalten, da die Rabatte direkt von den Herstellen an die Krankenkassen gezahlt werden: Der Rabattvertrag führt hier also zu einer „versteckten“ Preisabsenkung.
Rabattverträge zu generischen Arzneimitteln -
Die Welt der Portfolioverträge
Durch die Pflicht zur Abgabe der rabattierten Arzneimittel durch Apotheken besteht vor allem im Generikabereich eine hohe Wettbewerbsintensität. Hier dominierten in der Anfangsphase so genannte Portfolio- oder Sortimentsverträge, die das gesamte Sortiment eines Herstellers umfassen. Derartige Verträge bestanden z.B. mit bekannten Marken wie Hexal, Ratiopharm oder STADA, die in der Apotheke zumeist adhoc verfügbar sind und ein umfassendes Sortiment anbieten.
In Abhängigkeit der jeweiligen Vertragsstrategie der betreffenden Krankenkasse bestand die Möglichkeit, Versorgungsaspekte so weit wie möglich zu berücksichtigen. Insbesondere die Kontinuität der Versorgung konnte in der Regel durch langfristig geschlossene Verträge gewährleistet werden.
Vorteile der bisherigen Portfolio- oder Sortimentsverträge:
• Häufig bestanden Verträge mit bekannten Marken und umfassendem Sortiment
• „Marken“, wie Hexal, Ratiopharm oder STADA, sind in der Apotheke zumeist adhoc verfügbar, ein Bestellvorgang daher häufig nicht notwendig
• Transparente Verbindung zwischen Krankenkasse und Hersteller: Versicherte, Ärzte und Apotheker verbinden bestimmte Hersteller mit „ihrer“ Kasse, z.B. Kasse x + Ratiopharm; Kasse y + STADA
• Neue Arzneimittel, die nach Patentablauf in das Sortiment aufgenommen werden, waren ab dem Vermarktungstag Bestandteil des Vertragssortiments.
Verpflichtung zur Ausschreibung von Rabatt-
verträgen - Abschied von Sortimentsverträgen
Die „Ära“ der Sortimentsverträge gehört jedoch der Vergangenheit an. Denn seit dem 01.01.2009 wurde mit Umsetzung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der Krankenversicherung (GKV-OrgWG) klar gestellt, dass auch für Krankenkassen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen gilt. In diesem Zusammenhang hat die laufende Rechtsprechung gezeigt, dass Krankenkassen öffentliche Auftraggeber sind und Rabattverträge sogenannte öffentliche Lieferaufträge darstellen (z.B. Oberlandesgericht Düsseldorf vom 19.12.2007, Landessozialgericht Baden-Württemberg vom 28.10.2008, Bundeskartellamt vom 15.11.2007). In der Konsequenz dürfen bilateral ausgehandelte Sortimentsverträge nicht mehr neu abgeschlossen werden. Zukünftig geltende Rabattverträge müssen, wenn mehrere Anbieter existieren, wie es im Generikabereich der Fall ist, bei Überschreiten der durch das Vergaberecht bestimmten Umsatzvolumina i.H.v. 193.000 Euro europaweit ausgeschrieben werden. Damit sind beim Abschluss von Rabattverträgen neben den bisherigen Regelungen im SGB V zusätzlich auch die Regelungen des Vergaberechts zu berücksichtigen.
Die bisher dominierenden Sortimentsverträge werden damit zunehmend auf Grundlage von Ausschreibungen durch Wirkstoffverträge zu generikafähigen Arzneimitteln abgelöst. Der Unterschied zu den Sortimentsverträgen liegt darin, dass als Ergebnis der Ausschreibungen das „Krankenkassensortiment“ eine Vielzahl unterschiedlicher Hersteller beinhaltet. Die bisher gewohnte Übersichtlichkeit der Sortimentsverträge geht damit verloren.
Das Vergaberecht bestimmt, dass die Laufzeit der geschlossenen Verträge maximal vier Jahre betragen darf. Um Aufwand und Risiken in der Waage zu halten, beträgt die Laufzeit in der Regel mindestens zwei Jahre. Dies bedeutet im Versorgungsalltag, dass die vertragsgebundenen Arzneimittel der Patienten nach jeder neuen Ausschreibung mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgetauscht werden müssen. Längere Vertragslaufzeiten sind vergaberechtlich nicht vorgesehen.
Ausschreibung: Das Spannungsfeld der Umsetzung
1. Qualität, Liefersicherheit und Mittelstandsschutz
Die Anfänge des Ausschreibungsgeschäftes gestalteten sich durch vergaberechtliche Unklarheiten und zahlreiche Nachprüfungsanträge von pharmazeutischen Unternehmern recht zäh. Bei den schließlich erfolgreich durchgeführten Ausschreibungen entstand vor allem in der Anfangszeit eine als chaotisch empfundene Situation, die seinerzeit insbesondere durch Lieferschwierigkeiten der Ausschreibungssieger verursacht wurde. Dass der ohnehin durch die neuen Verträge angestiegene Beratungsbedarf und administrative Aufwand durch die Lieferschwierigkeiten noch weiter in bislang nicht gekannter Weise zunahm, machte den viel geäußerten Missmut der Apothekerschaft nachvollziehbar.
Für viele Beobachter stellte sich die Frage: Vergaberecht und Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln, passt das zusammen? Mittlerweile haben die Krankenkassen dazugelernt, so dass etliche Ausschreibungen erfolgreich durchgeführt werden konnten.
Die Krankenkassen sind zum Schutz des Mittelstandes daran interessiert und haben die Pflicht zu gewährleisten, dass kein Hersteller ausgeschlossen wird, weil er die geforderte Leistung nicht erbringen kann. Somit bleibt nur die Aufteilung der ausgeschriebenen Arzneimittel in kleinere Fachlose, deren Liefermenge auch ein kleiner pharmazeutischer Unternehmer gewährleisten kann. Dies hat zur Konsequenz, dass bei den meisten größeren Ausschreibungen eine Vielzahl unterschiedlicher Hersteller den Zuschlag erhält.
Für Patienten, Apotheker, Ärzte und damit für die Krankenkassen ist die Versorgungsqualität von grundlegender Bedeutung. Die Patienten sind es gewohnt, durch ihre Apotheke unverzüglich mit dem gewohnten Medikament beliefert zu werden. Falls die Apotheke dieses nicht vorrätig hat, so kann sie es in der Regel spätestens bis zum nächsten Werktag besorgen. Daran soll sich auch nach einer Ausschreibung nichts ändern. Die Hersteller, die sich an einer Ausschreibung beteiligen, müssen also darlegen, dass sie die geforderte Qualität und Menge liefern können.
Anlaufproblemen mit initialen Lieferschwierigkeiten kann durch einen ausreichenden Produktionsvorlauf für die Hersteller und frühzeitige Einbindung von Großhändlern und Apotheken vorgebeugt werden. Dieses Vorgehen sichert einen reibungsarmen Prozess der Bevorratung und wird dadurch unterstützt, dass die Rabattverträge erst einige Monate nach dem Ausschreibungsende in Kraft treten. Darüber hinaus ist seit dem wegweisenden Urteil des LSG Essen vom 03.09.2009 zur Ausschreibung der DAK auch geklärt, dass ein Zuschlag an mehrere Hersteller bei Ausschreibungen zulässig ist. Eine Wahlmöglichkeit aus mehreren Herstellern trägt auch dazu bei, die Liefersicherheit für einen vertragsgebundenen Wirkstoff zu erhöhen.

2. Austauschbarkeit
Wenn ein Arzneimittel vom Arzt verordnet wird, soll die Apotheke auch in der Lage sein, nach den Vorgaben des Rahmenvertrages gemäß § 129 Absatz 2 SGB V das verordnete Arzneimittel gegen das rabattierte auszutauschen. Nur so kann der Vertragshersteller den Umsatz erzielen, den er benötigt, um trotz des gewährten Rabattes seine unternehmerischen Ziele zu erreichen.
Wichtige Kriterien für die Austauschbarkeit nach dem Rahmenvertrag sind die gleiche Stärke, die gleiche Darreichungsform, die gleiche Indikation und die gleiche Packungsgröße. Was sich für die Apothekenmitarbeiter scheinbar eindeutig anhört, gab im letzten Jahr Anlass zu einer Diskussion, die noch nicht abgeschlossen ist und in der sogar bereits voneinander abweichende Urteile von Landesgerichten beigesteuert wurden.

3. Retard = schnell freisetzend!?
Die Austauschbarkeit der Darreichungsformen wird vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in der Anlage 7 der Arzneimittelrichtlinie veröffentlicht. Diese Auflistung ist abschließend: Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben bei Ausschreibungen sollten beispielsweise beim Wirkstoff Sumatriptan Filmtabletten und Tabletten getrennt behandelt werden, da dieser Wirkstoff vom Gemeinsamen Bundesausschuss (noch) nicht bewertet wurde - auch wenn für den fachkundigen Pharmazeuten auf der Hand liegt, dass das Arzneimittel aufgrund identischer Freisetzung austauschbar sein müsste.
Liegt andererseits eine Bewertung des G-BA vor, so ist sie bindend: Beispielsweise sind beim Wirkstoff Doxazosin die retardierten und nichtretardierten Arzneimittelformen laut G-BA austauschbar. Eine Ausschreibung in zwei getrennten Fachlosen durch spectrum|k wurde deshalb zurückgezogen – auch wenn eine getrennte Fachlosbildung aus Versorgungsaspekten sinnvoll gewesen wäre.
Dies betraf auch die getrennte Ausschreibung von retardierten Metoprololpräparaten mit unterschiedlichen Freisetzungskinetiken durch spectrum|K: Im betreffenden Fachlos durfte nur auf die retardierte Form - ohne weitere Differenzierung - abgestellt werden: Es konnten demnach sowohl Metoprololpräparate mit konventioneller verzögerter Freisetzung, wie auch Präparate mit einer Freisetzung 0. Ordnung auf ein und dasselbe Fachlos angeboten werden!

4. 100 Stück = 60 Stück?
Ein weiteres Problem mancher Ausschreibungen hat mit der Austauschbarkeit unterschiedlicher Packungsgrößen der Hersteller zu tun. Dies ist darin begründet, dass die Packungsgröße unterschiedlich definiert werden kann. Einerseits wird sie oftmals mit der Normgröße gleichgesetzt (N1, N2, N3), anderseits mit der exakten Stückzahl. Zwischen beiden Definitionen können sich Unterschiede ergeben, weil innerhalb einer Normgröße für ein Arzneimittel durchaus unterschiedliche Stückzahlen am Markt sein können. So werden z.B. unter der Normgröße N3 für den Wirkstoff Omeprazol Packungen sowohl mit 60 als auch mit 100 Kapseln angeboten. Dieses Beispiel zeigt, dass es wichtig ist, in die Verdingungsunterlagen einer Ausschreibung die tatsächliche Mengenangabe des jeweils ausgeschriebenen Arzneimittels aufzunehmen.

5. Unterschiedliche Indikationsbreiten
Schließlich wäre noch die Frage der Austauschbarkeit bei unterschiedlich breiten Indikationsbereichen als Problem aufzuführen. „Gleiche“ Präparate (gleich hinsichtlich Wirkstärke, Darreichungsform und Packungsgröße) unterschiedlicher Hersteller können für unterschiedliche Indikationsbereiche zugelassen sein. Ein Schreiben von Dr. Klaus Theo Schröder, dem Staatssekretär im BMG unter der letzten Regierung, definiert die Austauschbarkeit eher weiter gefasst. Demzufolge könnte ein Bisoprolol-Präparat, das bei den Indikationen Hypertonie und Herzinsuffizienz zugelassen ist, gegen ein Präparat mit der alleinigen Zulassung bei der Indikation Hypertonie ersetzt werden. Aber auch diese Problematik ist noch nicht abschließend geklärt, wie die noch bis vor kurzem öffentlich geführte Diskussion um die Austauschbarkeit von Clopidogrel-Präparaten zeigt.

6. Handhabung der aut-idem-Substitution
Den geschilderten Problemen kann die Krankenkasse – wenn auch nur in begrenztem Umfang – durch das „Design“ von Ausschreibungen begegnen. Beispielsweise kann die ausschreibende Krankenkasse bei der Bekanntmachung der Ausschreibung festlegen, welche Packungsgrößen (Stückzahl!) und welche Indikationszulassungen (umfassende Auflistung!) bei den zu rabattierenden Arzneimitteln vorliegen müssen. Grenzen sind jedoch bei der präzisen Differenzierung von Darreichungsformen gesetzt. Auch für Fragen der intergenerischen Bioäquivalenz besteht wenig Transparenz, und es existieren keine offiziellen Referenzierungsmöglichkeiten (Kojda und Hafner, 2008).
In der Praxis ist dann die pharmazeutische Sachkenntnis des Apothekenpersonals gefragt, den Austausch nur nach vergleichbarer Pharmakokinetik vorzunehmen. Den Krankenkassen verbleibt die Entscheidung, ob bei kritischen Darreichungsformen oder kritischen Indikationen, bei denen ein unreflektierter Austausch nach Rabattvertrag zu Problemen führen kann, überhaupt ausgeschrieben werden soll. So wurde in der jüngsten Ausschreibung von spectrum|K im Auftrag von Betriebs- und anderer Krankenkassen bewusst die Gruppe der Antiepileptika unberücksichtigt gelassen.
Allerdings zeigen vorläufige Auswertungen (noch nicht publiziert), dass insbesondere Fachärzte bei sogenannten kritischen Arzneimitteln (beispielsweise solche mit geringer therapeutischer Breite) verstärkt vom Aut-idem-Ausschluss Gebrauch machen. Wenn eine entsprechende Sensitivität auf Seiten der Ärzte vorhanden ist, sollte einer Ausschreibung auch solcher Substanzen nichts im Wege stehen. Insbesondere für Neueinstellungen und gezielten Ausschluss der Aut-idem-Substitution wäre hier eine einfach zu handhabende Darstellung bestehender Verträge in der Praxis-EDV wünschenswert.
Ein kürzlich in der pharmazeutischen Fachpresse erschienener Artikel von Neises et. al (2009) zu einer Studie der Hochschule Fresenius verdeutlicht die Wichtigkeit der Austauschbarkeitsproblematik: Zwar wurde in dieser Studie festgestellt, dass die Adhärenz durch die Rabattverträge nicht beeinträchtigt wird, allerdings klagten die untersuchten Patienten verstärkt über Nebenwirkungen der für sie neuen Rabattarzneimittel. Die Studie umfasste jedoch eine (nicht repräsentative) Stichprobe von 135 Patienten, die überwiegend nicht erwerbstätig und zu den älteren Versicherten zählten. Die Auswahl der Patienten erfolgte in Arztpraxen und Apotheken. Befragt wurden nur diejenigen, die eine Umstellung durch einen Rabattvertrag bereits erlebt hatten. Diese starke Selektion lässt eine Übertragung auf die Allgemeinheit kaum zu. Das Fazit der Autoren lautet daher, dass weitere Forschungen zum Thema der Auswirkungen von Rabattverträgen auf die Versorgung notwendig sind. Auch wir sehen hier noch erheblichen Forschungsbedarf und versuchen derzeit, begleitende Untersuchungen zu initiieren. Bis weitere Ergebnisse vorliegen, sind alle Beteiligten gefragt, ihrer Verantwortung nachzukommen.
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Fragenkomplex zur Austauschbarkeit keine Konsequenz der Rabattverträge, sondern der übergeordneten Regelungen zur Aut-idem-Substitution darstellt: Auch ohne Rabattverträge haben die Bestimmungen zur Aut-idem-Substitution Gültigkeit. Hier bieten die Rabattverträge sogar die Möglichkeit, zumindest für die Dauer der Laufzeit der entsprechenden Verträge für Konstanz zu sorgen: Ohne Verträge wäre der (im 2-Wochen-Abstand aktualisierte) Preis entscheidend für die Auswahl durch den Apotheker.
Vorteile einer Ausschreibung
Eine Ausschreibung von Rabattverträgen bringt – trotz der erläuterten Probleme – auch Vorteile gegenüber den Sortimentsverträgen:
• Das Verfahren sorgt – transparent für alle Beteiligten – für größtmögliche Wirtschaftlichkeit: Die Krankenkasse veröffentlicht in der Ausschreibung ihren Bedarf (üblicherweise gemessen an dem Verordnungsvolumen eines Jahres) und wählt den oder die Gewinner nach vorher festgelegten Eignungs- und Zuschlagskriterien. Zuschlagskriterium ist in der Regel der niedrigste Preis, der für die Arzneimittel nach dem Gebot des Herstellers resultiert.
• Durch die ausgeschriebenen Wirkstoffverträge können alle Beteiligten über eine feste Laufzeit der Rabattverträge rechnen, innerhalb derer das Arzneimittel des Patienten nicht gewechselt werden muss.
•`Durch die festgelegte Laufzeit erreichen die Hersteller Planungs- sowie Kalkulationssicherheit.
• Hebung von Effizienzreserven: Durch die Transparenz besteht ein fairer Wettbewerb unter den Bietern. Dies hat zur Folge, dass die pharmazeutischen Unternehmer hinsichtlich ihrer Gewinnmargen ihr „wahres Gesicht“ offen legen müssen und ein optimales Wirtschaftlichkeitspotenzial für die Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten realisiert werden kann.
Fazit: Alle Beteiligten sind gefragt
Den größten Vorteil werden die Patienten und das GKV-System erlangen, wenn alle Beteiligten die Rabattverträge in optimaler Form unter den gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen gestalten und anschließend „leben“:
• Die Krankenkassen durch weitest mögliche Berücksichtigung von Versorgungsaspekten bei der Konzeption von Ausschreibungen (wobei diesem häufig das Vergaberecht entgegensteht, s.o.) und Retaxierung von Verstößen gegen den Versorgungs- und Rahmenvertrag mit Augenmaß,
• die Krankenkassen durch eine sachgerechte Information ihrer Versicherten, die den argumentativen Aufwand von Ärzten und Apothekern vermindert,
• die Ärzte, die vom Setzen des Aut-idem-Kreuzes verantwortlich Gebrauch machen und
• die Apotheker, die als letzte Schnittstelle zum Patienten, ihre pharmazeutische Beratungskompetenz nutzen, um zum einen eine sachgerechte Aut-idem-Entscheidung zu treffen und zum anderen die Adhärenz des Patienten und damit den Therapieerfolg durch eine fundierte Beratung stärken. <<