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Was behindert Versorgungsinnovationen? Wie können Kassen und andere Akteure innovativer sein?

Versorgungsinnovationen zielen darauf ab, die Gesundheitsversorgung besser und/oder wirtschaftlicher zu machen. Wichtige Ansatzpunkte und Bestandteile (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) sind insbesondere: eine Prozessoptimierung mit Blick auf die gesamte Behandlungskette, das Entwickeln von Anreizmechanismen für Prävention, Honorierungsmodelle mit dem Fokus auf Ergebnisqualität und nicht auf Menge und Anzahl von Leistungen, eine aktive Patientenbeteiligung.

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Erstveröffentlichungsdatum: 24.01.2013

Abstrakt: Was behindert Versorgungsinnovationen? Wie können Kassen und andere Akteure innovativer sein?

Hindernisse für Versorgungsinnovationen finden sich in ganz unterschiedlichen Bereichen. Dazu gehören fehlende Anreize für Kassen, in Versorgungsinnovationen zu investieren, Fehlanreize bei den Leistungserbringern, durch die eher die Leistungsmenge als die Outcome-Qualität honoriert wird, sowie Defizite in der Forschungs- und Entwicklungskultur. Eine wichtige Rolle in diesem Kontext spielt die Politik, die über die Gesetzgebung die Rahmenbedingungen vorgibt. Die von der Großen Koalition in Aussicht gestellten Änderungen, insbesondere im selektivvertraglichen Bereich gehen in die richtige Richtung. Jedoch werden nicht alle Hürden für Versorgungsinnovationen beseitigt.

Abstract: Hindrances for Innovations in the German Health Care System

Hindrances for innovations in the health care system can be found at different levels. They include missing incentives for health insurance companies to invest in innovations; problematic incentives for care providers who raise the amount of treatment rather than the outcome quality and shortfalls in the research and development culture. In this context legislation has an important role defining the frame conditions. The modifications announced by the governing coalition, particularly those concerning the selective contracting area, point to the right direction. But not every obstacle will be eliminated.

Literatur

Diemer, S. (2013): Deutschland vs. USA – Keine Top-US-Investments in Deutschland. In: http://www.gruenderszene.de/allgemein/us-investments-deutschland (abgerufen am 20.02.2014) Herzlinger, R. E. (2006): Why Innovation in Health Care Is So Hard In: Harvard Business Review Mai 2006, 58-66 Hildebrandt, H./Bischoff-Everding, C./Stüve, M./Kolzau, T./Saade, P./Weyler, E.-J./Cortekar, J. (2008): White Paper: Anreize für Forschung und Entwicklung für Versorgungs- und Systeminnovationen im Gesundheitswesen 3.Juni 2008 Hültenschmidt, N./Eliades, G./Singh, K./Danke, I. (2011): Die Architektur des Gesundheitsmarkts 2020 und die Folgen für Ärzte, Versicherer, Distributoren und Industrie In: Bain & Company (HRSG) (2011).

Zusätzliches

Plain-Text

Was behindert Versorgungsinnovationen? Wie können Kassen und andere Akteure innovativer sein?

Versorgungsinnovationen zielen darauf ab, die Gesundheitsversorgung besser und/oder wirtschaftlicher zu machen. Wichtige Ansatzpunkte und Bestandteile (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) sind insbesondere: eine Prozessoptimierung mit Blick auf die gesamte Behandlungskette, das Entwickeln von Anreizmechanismen für Prävention, Honorierungsmodelle mit dem Fokus auf Ergebnisqualität und nicht auf Menge und Anzahl von Leistungen, eine aktive Patientenbeteiligung.

>> Wenn Krankenkassen planen, über selektivvertragliche Rechtsgrundlagen wie die integrierte Versorgung nach §§ 140 a ff. SGB V Versorgungsinnovationen umzusetzen, sind oft hohe Entwicklungs- bzw. Investitionskosten eine kaum zu überwindende Hürde. Während die Kosten sofort anfallen, kann mit Erträgen erst mittel- oder sogar langfristig gerechnet werden. Das gilt vor allem dann, wenn präventive Elemente Bestandteil der Innovationskonzepte sind. Dies stellt die Krankenkassen vor große Probleme, da sie aufgrund der Morbi-RSA Systematik ihre finanzielle Situation nicht längerfristig genau abschätzen können, sondern im Gegenteil erst jeweils rückwirkend für jedes Jahr präzise wissen, wo sie finanziell stehen. Auch können Versicherte in dem langen Zeitraum bis zum Erreichen des Return on Invest (ROI) einer Versorgungsinnovation die Krankenkasse verlassen haben. Zusätzliche Investitionen können so für die Kassen zu ernsten Problemen im Wettbewerb um Zusatzbeiträge bzw. Beitragssätze führen.
Die zum Ende des Jahres 2008 abgeschaffte Anschubfinanzierung für die Integrierte Versorgung war grundsätzlich ein probates Mittel, um dem Finanzierungsproblem der Kassen für Ausgaben in diesem Bereich zu begegnen. Um Innovationen zu befördern ist es daher wichtig, erneut eine Finanzierungshilfe für Ausgaben der Kassen im Bereich Forschung und Entwicklung (F&E) anzubieten, z.B. über die Bereitstellung von Mitteln aus dem Gesundheitsfonds. Die Politik hat dies offensichtlich im Blick, denn sie hat die Einrichtung eines Innovationsfonds von 300 Mio. Euro angekündigt, wobei 225 Mio. Euro davon der Förderung innovativer, sektorenübergreifender Versorgungsformen und die übrigen 75 Mio. Euro der Versorgungsforschung zugute kommen sollen. Die Vergabe der Mittel soll über den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gesteuert werden – und genau hier liegt das Problem. Es ist nur schwer vorstellbar, dass ein derart korporatistisch ausgerichtetes Verfahren für die Verwendung dieser Mittel zu einer Förderung innovativer, sektorenübergreifend ausgerichteter Ansätze im selektivvertraglichen Bereich führen wird.
Wenn man konzediert, das hohe Vorinvestitionen bei Versorgungsinnovationen notwendig sind und hierfür auch Mittel aus dem Gesundheitsfonds bereitgestellt werden sollen, dann passt außerdem die derzeitige Regelung des § 53 Abs. 9 SGB V nicht, nach der Selektivverträge (welche als Wahltarife nach § 53 Abs. 3 angeboten werden) insgesamt nicht teurer als die Regelleistungen sein dürfen. Eine entsprechende Änderung des § 53 wäre daher folgerichtig und müsste im Sinne einer Förderung von Innovationen ebenfalls erfolgen.
Fehlanreize für Leistungserbringer
Die Vergütung der Leistungserbringer ist eher mengen- als nutzen- und qualitätsorientiert ausgerichtet. Sektorales Denken und sektorale Vergütung verhindern adäquate Anreizsysteme. Jeder Sektor hat nur seine eigene Wirtschaftlichkeit im Blick, so dass die sektorenbezogene Umsatz- und Erlösmaximierung jeweils Ziel der Bemühungen ist und nicht der gesundheitliche Outcome des Patienten und die Gesamtwirtschaftlichkeit. Das derzeitige Vergütungssystem berücksichtigt längerfristige Effekte und Minderinanspruchnahmen in anderen Sektoren nicht oder nur unzureichend und führt zu kurzfristiger Planung auf Leistungserbringerseite. So kommen auch Bain & Company (Hültenschmidt 2011) zu der Einschätzung, dass: „(...) neue Vergütungssysteme ein zentraler Hebel für kosten- und qualitätsorientierte Veränderungen sind.“
Bessere, sektorenübergreifende Outcome-Qualität könnte durch Einführung von ergebnisabhängigen Vergütungsmodellen honoriert werden. Entsprechende „Pay for Performance“-Vergütungsmodelle werden im selektivvertraglichen Bereich teilweise schon erprobt und umgesetzt. Viele Detailprobleme verhindern dabei bisher den großen Durchbruch. Da diese Modelle in der Regel vorsehen, dass eine bessere bzw. zusätzliche Vergütung für überdurchschnittliche Qualität durch Vergütungsabschläge bei schlechter Qualität gegenfinanziert wird, gestalten sich die Verhandlungen mit den Leistungserbringern über die Vergütungsabschläge teilweise schwierig. Eine solche Vergütungssystematik erfordert außerdem eine gut funktionierende und von allen Vertragspartnern akzeptierte Qualitätsmessung und Sicherung. Trotz aller Detailschwierigkeiten sind ergebnisabhängige Vergütungsmodelle aber ohne Zweifel richtig und zukunftsweisend.
Als grundsätzliche Voraussetzung für eine bessere sektorenübergreifende Outcome-Qualität und eine darauf ausgerichtete Vergütungsstrategie bedarf es einer sektorenübergreifenden Qualitätssicherung (SQS). Diese wird durch die sektorale Abschottung bisher fast vollständig verhindert. Eine wirkliche Umsetzung der SQS ist ohne grundlegende, im SGB V zu verankernde strukturelle Änderungen wie etwa die Vereinheitlichung von Kodierregeln bzw. Dokumentationsstandards für alle Sektoren vermutlich nicht möglich. Die Politik hat zwar das Thema QS auf die politische Agenda dieser Legislaturperiode gesetzt, es ist jedoch nicht erkennbar, dass derart grundlegende Reformen angegangen werden sollen.
Förderung einer Forschungs- und
Entwicklungskultur
Versorgungsforschung benötigt Geld, daneben aber auch Plattformen für den Austausch zwischen Wissenschaft, Kostenträgern und Leistungserbringern.
Eine entsprechende (Versorgungs)Forschungs- und Entwicklungskultur ist Grundlage für die Weiterentwicklung von neuen Versorgungsformen und für die Entwicklung von Innovationen. Kassen können Versorgungsforschung aufgrund der schon beschriebenen finanziellen Restriktionen jedoch nur begrenzt fördern. Es gibt für Kassen (wie auch für Leistungserbringer) bislang kaum Anreize, einen Etat für Forschung zur Verfügung zu stellen.
Die von der Politik in Aussicht gestellte Bereitstellung von jährlich 75 Mio. Euro aus dem Innovationsfonds für die Versorgungsforschung ist grundsätzlich ein geeigneter Weg, um Finanzierungsengpässe in diesem Bereich zu beseitigen, wobei die Bedenken hinsichtlich des angedachten Verfahrens zur Verwendung und Verteilung der Fondsmittel bereits geäußert wurden.
Grundsätzlich sind auch gemeinsame Förder- und Finanzierungsprojekte von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und anderen Organisationen ein gutes Mittel, um die Finanzierungsgrundlage der Versorgungsforschung zu verbessern. Beispielhaft sei hier der Förderschwerpunkt Versorgungsnahe Forschung, Patientenorientierung und Chronische Krankheiten genannt. Von den Förderern – GKV, Private Krankenversicherung (PKV), Deutsche Rentenversicherung Bund und Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) – wurden insgesamt gut 20 Mio. Euro für diesen Förderschwerpunkt zur Verfügung gestellt. Die Finanzierungsbeteiligung des BMBF von mehr als 50% der Gesamtsumme war, neben dem intrinsischen Wert dieser Förderkooperation, ein starkes Argument und starker Anreiz für die finanzielle Beteiligung der übrigen Förderer.
Eine wichtige Erkenntnis aus dem genannten Förderschwerpunkt ist, dass neben der Bereitstellung von entsprechenden Mitteln für die Versorgungsforschung vor allem auch das Schaffen von Anlaufstellen und Plattformen für den Austausch zwischen Wissenschaft und Kostenträgern eine große Bedeutung hat. Gerade der Transfer von Forschungsergebnissen in die Versorgungspraxis ist oft eine große Hürde und wird dadurch erschwert, dass die Wissenschaft nach eigener Aussage vielfach unzureichend über Strukturen, Prozesse und Ansprechpartner auf Seiten der Kostenträger informiert ist.
Im Rahmen der Förderung einer Forschungs- und Entwicklungskultur sollte auch eine Förderung von Investitionen für Versorgungsinnovationen ins Auge gefasst werden. Das Problem beschreibt die Hildebrandt GesundheitsConsult GmbH (Hildebrandt et al 2008) zutreffend in folgendem Satz: „Entwickelt und investiert wird da, wo mit hinreichender Sicherheit nachhaltig mit unternehmerischem Engagement Geld verdient werden kann.“ Diese Sicherheit fehlt. Gründe dafür sind u.a. die hohen Vorabinvestitionen, die für komplexe Neuentwicklungen von Prozessen und durchgängigen IT-Lösungen notwendig sind. Der Aufwand vergrößert sich noch durch die Notwendigkeit doppelter Abrechnungswege bei einem Nebeneinander von Selektiv- und Kollektivverträgen. Hinsichtlich der Refinanzierung für private Investoren besteht zudem teilweise Unsicherheit über die langfristige Stabilität der gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen.
Vor großen Problemen stehen auch Start-up-Unternehmen, die sich im Bereich Versorgungsinnovationen engagieren wollen, da es in Deutschland nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten gibt, sich zu finanzieren. Folgende Zahlen verdeutlichen dies sehr anschaulich: Im Jahre 2012 betrug das Fundraising über Venture Capital Finanzierung hierzulande 204 Mio. Euro über alle Branchen, wobei reine Health Care Service Innovationen dabei gar nicht auftauchen. In den USA wurden im gleichen Jahr 20,6 Milliarden Dollar Venture Capital Gelder in Start-ups investiert (Diemer 2013). Allein der Markt Digital Health erlebt dort derzeit einen regelrechten Boom.
Um Investitionen im Bereich Versorgungsinnovationen und auch das Engagement von Start-ups in diesem Sektor zu fördern könnte ein Kapitalfonds eingerichtet werden. Denkbar ist zum einen eine wirtschaftspolitische Förderung z.B. über die Kreditanstalt für Wiederaufbau oder zum anderen eine gesundheitspolitische Förderung über den Gesundheitsfonds (Hildebrandt et al 2008).
Kommende Änderungen
in Bezug auf Selektivverträge
Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass „Krankenkassen mehr Freiräume erhalten, um im Wettbewerb gute Verträge gestalten und regionalen Besonderheiten gerecht werden zu können“.
Die Regelungen im Einzelnen:
• Eine Angleichung der „rechtlichen Rahmenbedingungen und Beseitigung bestehender Hemmnisse bei der Umsetzung von integrierten und selektiven Versorgungsformen“
• Gleichartige Regelung der Evaluation
• Nachweis der Wirtschaftlichkeit gegenüber der zuständigen Aufsichtsbehörde nach vier Jahren
• Aufhebung der Regelungen zur Mindestdauer und zur Substitution der Regelversorgung
• Vereinfachung des Bereinigungsverfahrens
• Überführung von geeigneten Versorgungsformen in die Regelversorgung
• Aufhebung der Vergütungsbeschränkungen bei Hausarztverträgen
• Strukturierte Behandlungsprogramme müssen Bestandteil der HZV-Verträge werden, soweit sie die Hausärzte betreffen.
• Zur Förderung innovativer sektorenübergreifender Versorgungsformen und für die Versorgungsforschung soll ein Innovationsfonds in Höhe von 300 Mio. Euro (hälftig über den Gesundheitsfonds und hälftig über die Krankenkassen finanziert) eingerichtet werden.
Fazit
Die Regelungen gehen insgesamt in die richtige Richtung. Einige der bestehenden Probleme und Hürden auf dem Weg zu mehr Versorgungsinnovationen werden jedoch nicht bzw. nicht konsequent genug angegangen. So ist der in Aussicht gestellte Innovationsfonds grundsätzlich eine gute Idee und ein geeignetes Mittel, um den Finanzierungsproblemen bei innovativen, sektorenübergreifenden Versorgungsprojekten zu begegnen und die Finanzierungsgrundlagen der Versorgungsforschung zu verbessern. Die Vergabe dieser Mittel über den G-BA und von diesem festzulegende Kriterien zu organisieren, birgt jedoch die Gefahr, dass die Fondsgelder im kollektivvertraglichen Bereich versenkt werden und den Kassen nicht für innovative, selektivvertragliche Projekte und eigene Versorgungsforschungsideen zur Verfügung stehen.
Bestehende Regelungen im SGB V, nach denen Selektivverträge nicht teurer als die Regelleistungen sein dürfen (§ 53 Abs. 9 SGB V), stellen ebenfalls eine große Hürde für innovative, selektivvertragliche Vorhaben dar, deren Beseitigung die Politik bisher nicht vorsieht. Ähnliches gilt für Auflagen bezüglich der Wirtschaftlichkeit von Krankenkassen (insbesondere § 197 b SGB V), die die Möglichkeiten der Umsetzung von Selektivverträgen stark beschränken und beispielsweise die Einbindung von Managementgesellschaften für die Umsetzung solcher Verträge fast ausschließen.
Das Thema Qualitätssicherung wird von der Politik offensichtlich als dringlich und wichtig erkannt, aber dem Entwurf des GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetzes (GKV FQWG) ist nicht zu entnehmen, dass die für eine SQS notwendigen, grundlegenden strukturellen Änderungen in Angriff genommen werden sollen. Ohne SQS ist jedoch eine bessere, sektorenübergreifende Outcome-Qualität kaum erreichbar.
Auch eine Förderung von Investitionen in Versorgungsinnovationen durch beispielsweise die Einrichtung eines Fonds ist von der Politik bisher nicht vorgesehen.
Um alle erkennbaren Hürden für Versorgungsinnovationen zu beseitigen, wären weitere, über die von der Politik angekündigten und teilweise bereits initiierten Änderungen hinausgehende Reformen notwendig. Einige dieser zusätzlichen Änderungen haben sehr grundlegenden Charakter. Andere beziehen sind eher auf Detailregelungen, mit denen sichergestellt werden könnte, dass sich das Innovationspotential der selektivvertraglichen Möglichkeiten und die Wirkung des Innovationsfonds voll entfalten können. <<