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Fallmanagementprogramm für Multimorbidität im Alter: Evaluation zur Kosteneffektivität

Die individuelle Lebensführung, Lebensbedingungen, Bewältigungspotenziale, adäquate medizinische und soziale Betreuung, Prävention und Rehabilitation beeinflussen sowohl den Gesundheitszustand, die Lebensqualität und das Wohlbefinden im höheren Lebensalter als auch die im medizinischen und pflegerischen Bereich anfallenden Kosten. Geriatrische Patienten weisen ein höheres Risiko für eine Hospitalisierung auf und leiden meist nicht nur an einer chronischen Krankheit, sondern an weiteren (Ko-)Morbiditäten. Ein indikationsübergreifendes, präventiv ausgerichtetes geriatrisches Fallmanagement ist ein erfolgversprechender Ansatz, die Lebensqualität und die Selbstmanagementkompetenz der Betroffenen zu verbessern und gleichzeitig die Krankenhausausgaben zu verringern.

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Erstveröffentlichungsdatum: 05.10.2012

Abstrakt: Fallmanagementprogramm für Multimorbidität im Alter: Evaluation zur Kosteneffektivität

Der demografische Wandel und die damit verbundene Veränderung der Altersstruktur hin zu einer immer älter werdenden Gesellschaft gehen mit einer gleichzeitigen Erhöhung der Multimorbidität und einem enormen Anstieg der Krankheitskosten, insbesondere im stationären Sektor, einher. Das geriatrische Fallmanagementprogramm Casaplus® zielt auf die Verringerung von vermeidbaren Krankenhausaufnahmen ab. Hierfür wurde ein Prädiktionsmodell entwickelt, das prospektiv und zielgenau Patienten anhand von Routinedaten identifiziert, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten zwölf Monaten eine Hospitalisierung zu erwarten ist. Das Fallmanagement umfasst eine intensive telefonische Beratung zur Steigerung der Selbstmanagementkompetenz sowie präventive Hausbesuche durch erfahrene Fallmanager bei sturzgefährdeten und mangelernährten Teilnehmern. Die Evaluationsergebnisse von Casaplus® belegen die Wirksamkeit des geriatrischen Fallmanagements mit Blick auf die durchschnittliche Zahl der Krankenhausfälle und die damit verbundenen Krankenhausausgaben.

Abstract: geriatric case management-programme: Evaluation testifies cost-effectiveness

Demographic change and the related modification of the age structure towards a constantly ageing society are attended by a simultaneous increase in comorbidity and an enormous rise in medical costs, especially in the in-patient sector. The geriatric case management programme Casaplus® aims at reducing avoidable hospital admissions. For this purpose a prediction model has been developed which, with reference to routine data, identifies patients prospectively and accurately for whom hospitalisation can be expected in all probability in the next twelve months. Case management encompasses an intensive telephone consultation to enhance self-management competence as well as preventive home visits by experienced case managers to those participants who are at risk of falling and are poorly nourished. The evaluation results of Casaplus® testify to the effectiveness of geriatric case management in view of the average number of hospital cases and the related hospital expenditure.

Literatur

Altman, D. (1991). Practical statistics for medical research: 464 Bergert, F. W. et al. (2008): Hausärztliche Leitlinie Geriatrie - Teil 1: 30 Berthold, H.K./Steinhagen-Thiessen, E. (2009): Arzneimitteltherapie im Alter - Wo liegen die Probleme? Was soll man tun, was muss man lassen? In: Internist, 50: 1415–1424 Fillibeck, H./Sowinski, C./Stehling, H. (2005): Literaturstudie. In: Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg.) (2005). Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege: 44 ff. Fleckenstein, J./Heinzen, F. (2007): Effizientes Fallmanagement - Teil 2. In: Managed Care 2007, 4: 36 f. Howard, R./Avery, A. J./Slavenburg, S./Royal, S./Pipe, G./Lucassen, P./Pirmahamed, M. (2006): Which drugs cause preventable admissions to hospital? A systematic review. In: British Journal of Clinical Pharmacology, 63:2, S. 136-147 Lange, S. (2006): Die Rolle randomisierter kontrollierter Studien bei der medizinischen Bewertung von Routineverfahren, Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz, 49: 272–277 Robert Koch-Institut (Hrsg.) 2006: Gesundheit in Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Robert Koch-Institut, Berlin Shete, S./Beasley, T.M./Etzel, C. J./Fernández, J. R./Chen, J./Allison, D. B./Amos, C. I. (2004): Effect of winsorization on power and type 1 error of variance components and related methods of QTL detection. In: Behavior Genetics; 34(2): 153-159 Statistisches Bundesamt Deutschland (2010): http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Navigation/Statistiken/Gesundheit/Gesundheit.psml (zugegriffen am 19. Oktober 2010) Steinhagen-Thiessen, E./Hamel, G./Lüttje, D./Oster, P./Plate, A./Vogel, W. (2003): Geriatrie - quo vadis? In: Z Gerontol Geriat 36: 366–377 SVR - Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2009): Koordination und Integration − Gesundheitsversorgung in einer Gesellschaft des längeren Lebens. In: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/137/1613770.pdf (abgerufen am 19. Oktober 2010) von dem Knesebeck, O./Döhner, H./Kaduszkiewicz, H./ van den Bussche, H./ von Renteln Kruse, W. (2006): Forschung zur Versorgung im höheren Lebensalter - Prävention, Case Management und Versorgung von Demenz. In: Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz, 49: 167–174 Zeitler, H.-P./Gulich, M. (2004): Leitlinie Ältere Sturzpatient. DEGAM Leitlinie, ed. Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 2004, Düsseldorf

Zusätzliches

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Fallmanagementprogramm für Multimorbi-dität im Alter: Evaluation zur Kosteneffektivität

Die individuelle Lebensführung, Lebensbedingungen, Bewältigungspotenziale, adäquate medizinische und soziale Betreuung, Prävention und Rehabilitation beeinflussen sowohl den Gesundheitszustand, die Lebensqualität und das Wohlbefinden im höheren Lebensalter als auch die im medizinischen und pflegerischen Bereich anfallenden Kosten. Geriatrische Patienten weisen ein höheres Risiko für eine Hospitalisierung auf und leiden meist nicht nur an einer chronischen Krankheit, sondern an weiteren (Ko-)Morbiditäten. Ein indikationsübergreifendes, präventiv ausgerichtetes geriatrisches Fallmanagement ist ein erfolgversprechender Ansatz, die Lebensqualität und die Selbstmanagementkompetenz der Betroffenen zu verbessern und gleichzeitig die Krankenhausausgaben zu verringern.

>> Insbesondere im Krankenhausbereich als dem Sektor, welcher die größten Kosten im Gesundheitssystem verursacht, sind hauptsächlich die über 65-Jährigen für den gravierenden Anstieg der stationären Kosten verantwortlich. Ursächlich hierfür sind speziell Krankheiten des Kreislauf-, des Verdauungs- und des Muskel-Skelettsystems sowie psychische und Verhaltensstörungen, ihnen sind mehr als die Hälfte der entstanden Krankheitskosten zuzurechnen (Statistisches Bundesamt 2010). Die adäquate Behandlung mehrerer gleichzeitig auftretender Erkrankungen impliziert zudem häufig eine Polypharmakotherapie. Diese und die mangelnde Medikamentencompliance bei älteren Menschen kann jedoch in vielen Fällen zu unerwünschten Wechsel- und Nebenwirkungen führen, aus denen wiederum vermeidbare Krankenhausaufenthalte resultieren (Howard et al. 2006: 136-147; Berthold/Steinhagen-Thiessen 2009: 1415 ff.).
Auch Sturzereignisse stellen ein ernsthaftes Gesundheitsproblem bei älteren Menschen dar. Etwa ein Drittel der über 65-Jährigen und zu Hause lebenden Menschen stürzt mindestens einmal jährlich. Ungefähr jeder fünfte Sturz erfordert eine medizinische Behandlung, jeder zehnte hat eine Fraktur zur Folge. Die bedeutendsten Faktoren für die hohe Sturzgefährdung älterer Personengruppen stellen kognitive und Mobilitätseinschränkungen dar. Aus der Vergangenheit bekannte Sturz-ereignisse und deren Folgen verstärken die Sturzangst und somit die Sturzgefahr zusätzlich (Fillibeck et al. 2005: 44 ff.). So stürzen im folgenden Jahr 60-70 % der Gestürzten erneut. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass präventive Hausbesuche durch Pflegekräfte einen positiven Beitrag zur Reduzierung von vermeidbaren Krankenhausaufenthalten sowie zur Verbesserung der Lebensqualität leisten können. Allerdings erfährt Prävention im Alter im deutschen Gesundheitswesen noch immer keine große Aufmerksamkeit und ist kein regelhafter Bestandteil der Routineversorgung (Zeitler/Gulich 2004: 9, 28; von dem Knesebeck et al: 168).
Gebrechlichkeit und fehlendes Wissen im Umgang mit mehreren gleichzeitig auftretenden, chronischen Krankheiten führen bei älteren Menschen häufig zu einem Mangel an Selbständigkeit im häuslichen und sozialen Umfeld. Um unerwünschten Eskalationen von Krisensituationen vorzubeugen, sollte rechtzeitig eine ambulante Stabilisierung erfolgen, damit daraus folgende unnötige Krankenhauseinweisungen vermieden werden können. Die Alltagskompetenz zu bewahren bzw. zu stärken und die Pflegebedürftigkeit hinauszuzögern, kann durch präventive Maßnahmen sowie altersspezifische Gesundheitsförderung effektiv unterstützt werden. Vorhandene flächendeckende Versorgungs-
angebote sind bislang jedoch überwiegend nur für eine Grunderkrankung konzipiert, obwohl sich die individuellen Neben- und Folgeerkrankungen in ihrer Progression gegenseitig negativ beeinflussen. Deshalb sollte der Schwerpunkt der Behandlung vorzugsweise indikationsübergreifend erfolgen (SVR 2009: 251 f., 373), weil sich die zunehmende Geriatrisierung und die alterskorrelierte Multimorbidität der Bevölkerung in den nächsten Jahren noch verstärken werden.
Casaplus® - Systematisches Fallmanagement für geriatrische multimorbide Patienten in ihrer häuslichen Umgebung
Um der beschriebenen demografischen Entwicklung und dem steigenden Versorgungsbedarf der zahlreichen chronisch kranken, multimorbiden Patientinnen und Patienten gerecht zu werden, hat die MedicalContact AG das Fallmanagementprogramm Casaplus® entwickelt. Dieses zielt darauf ab, eine flächendeckende, niederschwellige und gleichzeitig qualitativ hochwertige Versorgung für Patienten ab dem 55. Lebensjahr anzubieten, weil diese Gruppe mehr als die Hälfte der stationär aufgenommenen Patienten darstellt (Robert Koch-Institut 2006: 161). Ein eigens hierfür entwickeltes Prädiktionsmodell identifiziert prospektiv und zielgenau Patienten anhand von Routinedaten, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten zwölf Monaten eine Hospitalisierung zu erwarten ist (Fleckenstein/Heinzen 2007: 36 f.).
Bei dem Programm handelt es sich um eine telefonische Beratung mit dem Ziel, vermeidbare stationäre Aufenthalte durch Förderung der individuellen Alltagskompetenz sowie des Selbstmanagements zu vermeiden. Dies trägt zu einem Mehr an Sicherheit im täglichen Umgang mit der Erkrankung bei. Ein präventiver Hausbesuch durch die Fallmanager ergänzt den telefonischen Kontakt und soll insbesondere die hohe Sturzgefährdung bei den Teilnehmern durch adäquate Handlungsempfehlungen und Vorsorgemaßnahmen verringern. Bei identifizierten kritischen Arzneimittelkombinationen wird dem Teilnehmer eine zusätzliche Arzneimittelberatung durch pharmazeutisches Fachpersonal angeboten, um unerwünschten Neben- und Wechselwirkungen vorzubeugen bzw. gegensteuern zu können.
Casaplus® verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Der Patient wird nicht erkrankungsfokussiert, sondern indikationsunabhängig beraten. Dementsprechend wird nach Eingang einer schriftlichen Einverständniserklärung mit Hilfe eines geriatrischen Eingangsassessments zunächst die individuelle Exposition für alterstypische Risiken geklärt. Liegen zum Beispiel zu gastrointestinalen oder kardio-vaskulären Krankheitsbildern Risiken vor, wird der Patient in das Programm Casaplus® eingeschrieben und erhält eine bedarfsgerechte Risikoschulung. Die anschließende Beratung erfolgt engmaschig durch speziell ausgebildete und praxiserfahrene Fallmanager. Jedem Teilnehmer wird ein fester Berater zugeteilt, um den Aufbau eines tragfähigen Vertrauensverhältnisses zu fördern. Im Rahmen der telefonischen Beratung wird der Teilnehmer regelmäßig im Umgang mit Symptomen und in der Früherkennung von Krisen geschult, sein Selbstmanagementpotenzial aktiviert und gesundheitsförderliches Verhalten trainiert. Zu besprochenen Themengebieten erhält der Teilnehmer schriftliche Informationsmaterialien, um sein Wissen nachhaltig zu vertiefen.
Ein zentraler Bestandteil von Casaplus® ist der präventive Hausbesuch, der im Eingangsassessment den sturzgefährdeten sowie potentiell mangelernährten Teilnehmern angeboten wird. Ein Hausbesuch durch qualifiziertes Pflegepersonal dient zur Unterstützung älterer Menschen in ihrer häuslichen Umgebung. Hierbei machen sich die Fallmanager ein Bild von der Wohnsituation und dem sozialen Umfeld der Teilnehmer, führen eine Gefahrensensibilisierung durch und geben alltagstaugliche Tipps. Das Aufzeigen sturzassoziierter Merkmale und Risiken, wie beispielsweise Stolperfallen sowie deren Beseitigung, ist ein Teil des dreiviertelstündigen Hausbesuchs. Außerdem weisen die Berater auf einfache altersgerechte Präventionsmaßnahmen hin. Insbesondere Maßnahmen zur Sturzprävention wie die Installation von Handgriffen im Bad, die Anpassung der nächtlichen Beleuchtung, das Tragen festen Schuhwerks etc. (Bergert et al. 2008: 30; Steinhagen-Thiessen et al. 2003: 366 ff.) bieten ein hohes Potenzial, unnötige Hospitalisierungen zu vermeiden und so dem Kostenanstieg bei den Krankenkassen entgegenzuwirken.
Ergebnisse der Zufriedenheitsbefragung
In das geriatrische Fallmanagementprogramm Casaplus® sind mittlerweile mehr als 8.000 Versicherte eingeschrieben. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer liegt bei 75 Jahren, der Anteil der Männer beträgt 54 %. Im Rahmen der programmbezogenen Qualitätssicherung und Weiterentwicklung wurde im Juli 2010 die zweite anonyme, standardisierte Erhebung der Teilnehmerzufriedenheit mit diesem Versorgungsangebot durchgeführt. Dabei wurden 2.000 Fragebögen an zufällig ausgewählte Teilnehmer verschickt, von denen 880 Bögen (44 %) zurückgesendet und ausgewertet wurden. Die Gesamtzufriedenheit mit dem Programm Casaplus® betrug 95,7 %. Mehr als 90 % der Befragten fühlten sich jeweils durch Casaplus® in ihrer Kassenwahl bestätigt bzw. sich gut von ihrer Krankenkasse betreut. Für die Mehrheit der Befragten ergaben sich positive Veränderungen seit der Teilnahme: Knapp zwei Drittel gaben an, dass sie sich seit Programmeinschreibung zu Hause sicherer fühlen. Die Einnahme von Arzneimitteln erfolgt nach deren Angaben bei 56,2 % seit der Programmteilnahme regelmäßiger. Auch die Fähigkeit, Probleme gezielter dem Arzt mitzuteilen, sowie die Verwendung von Hilfsmitteln und das Erkennen alterstypischer Gefahren haben sich für viele der Befragten verbessert (Abb. 1).
Als ein Indikator für die Zufriedenheit mit einem Angebot kann auch die Bereitschaft, weiter im Programm zu verbleiben, betrachtet werden. Während lediglich 0,5 % sich dies auf keinen Fall vorstellen konnten, wollten 95,1 % aller Befragten zukünftig die Beratungen weiter in Anspruch nehmen (65,9 % auf jeden Fall, 29,2 % eher ja).
Evaluationsmethodik: intention-to-treat-Ansatz
Zur Ermittlung der ökonomischen Effekte wird ein Vergleich der Krankenhauskosten der Casaplus®-Teilnehmer mit den erwarteten Krankenhauskosten vorgenommen, die entstanden wären, wenn kein Fallmanagement durchgeführt worden wäre. Die erwarteten Krankenhauskosten für die Casaplus®-Teilnehmer werden auf Basis der tatsächlichen Kosten einer per Zufallsziehung gewonnenen Kontrollgruppe bestimmt. Die Gewinnung von Programmteilnehmern und Kontrollgruppe erfolgt in folgenden Schritten: Die Gesamtgruppe der Versicherten, die durch das Prognosemodell mit einem hohen Hospitalisierungsrisiko identifiziert wurden, wird um Versicherte bereinigt, die eines der folgenden Ausschlusskriterien erfüllen:
• Zwischenzeitlich verstorben
• Zwischenzeitlich nicht mehr bei der Kasse versichert
• Versicherte, die Leistungen der Pflegeversicherung gem. Pflegestufe 3 beziehen oder in einem Pflegeheim wohnen
• Versicherte, die in einer Region wohnen, in der das Programm Casaplus® nicht durchgeführt werden kann (i.d.R. weil kein vertraglich mit der MedicalContact AG verbundener regionaler Pflegedienst zur Verfügung steht)
Die Verbleibenden sind die „eligiblen Versicherten“ für das Programm Casaplus®, aus denen mittels einer Zufallsziehung (Zufallszahlengenerator) eine Kontrollgruppe im Umfang von ca. 10 % gezogen wird, die keinerlei weitere Intervention durch das Programm erhält. Mit den übrigen Versicherten („Interventionsgruppe“) wird ein telefonisches Screening durchgeführt, um zu ermitteln, ob die Versicherten für das Programm geeignet und zur Teilnahme bereit sind. Die tatsächlichen „Casaplus®-Teilnehmer“ rekrutieren sich aus der Population der Interventionsgruppe, nachdem folgende Versicherte („Nicht-Teilnehmer“) ausgeschieden sind:
• a. Versicherte, die nach mehrfachen Versuchen telefonisch nicht erreicht werden können (kein Screening möglich)
• b. Versicherte, die es ablehnen, im Rahmen des telefonischen Screenings Auskünfte über ihren Gesundheits-/Risikozustand zu geben, so dass eine Beurteilung der Eignung für das Programm nicht möglich ist
• c. Versicherte, die keine Einwilligung zur Teilnahme an dem Fallmanagement erteilen
• d. Versicherte, deren Screeningergebnisse das statistisch prognostizierte Risiko für eine Krankenhauseinweisung nicht bestätigen.

Der Evaluation der Programmeffekte erfolgt nach dem „intention-to-treat-Ansatz“ (Altman 1991: 464), d.h. es wird ein Vergleich der Kontroll- und Interventionsgruppe durchgeführt. Die „Interventionsgruppe“ umfasst nicht nur die tatsächlichen Programmteilnehmer, sondern auch alle Versicherten, die aus den genannten Gründen (a. bis d.) gar nicht zum tatsächlichen Teilnehmer geworden sind bzw. die das Programm vorzeitig abgebrochen haben. Ausgeschlossen von der Analyse werden lediglich Versicherte der Kontroll- oder Interventionsgruppe, die während des Analysezeitraums verstorben sind. Dies erfolgt, um Verzerrungen durch die häufig extremen Kosten der stationären Versorgung unmittelbar vor dem Tod zu vermeiden. Durch dieses Studiendesign kann sichergestellt werden, dass die Kontrollgruppe hinsichtlich Morbidität, Inanspruchnahme, Behandlungskosten, regionaler Verteilung sowie weiterer möglicher Störgrößen der Interventionsgruppe so ähnlich ist, dass sich die beobachteten Programmeffekte kausal auf die Casaplus®-Interventionen zurückführen lassen.
In die Analyse gehen alle Versicherten ein, die zwischen dem 1. Mai 2008 und dem 30.04.2009 den eligiblen Versicherten zugeordnet und in der beschriebenen Weise randomisiert wurden. Für diese Versicherten ist der daran anschließende Leistungszeitraum 01.05.2009 bis 30.04.2010 (12 Monate) ausgewertet worden. Insgesamt stehen für die Untersuchungen N=7.466 Versicherte zur Verfügung, die sich aus N=6.696 Personen in der Interventionsgruppe und N=770 Versicherten in der Kontrollgruppe zusammensetzen. Die Zusammensetzung der beiden Gruppen ist in Tabelle 1 dargestellt.
Da das Casaplus®-Programm primär das Ziel verfolgt, vermeidbare Krankenhauseinweisungen zu verhüten, ist der Parameter „Krankenhausinanspruchnahme“ daher die eigentlich relevante Effektgröße. Die Höhe der Ausgaben bei denjenigen, die eine Krankenhausinanspruchnahme aufweisen, wird durch das Casaplus®-Programm nicht direkt beeinflusst. Darüber hinaus werden Unterschiede in der Zahl der Krankenhausfälle bzw. der Höhe der Ausgaben von Interventions- und Kontrollgruppe und den jeweiligen Teilgruppen der Versicherten mit Krankenhausinanspruchnahme analysiert.
Die Ergebnisse zu den Krankenhauskosten können durch sehr wenige bzw. sogar einzelne Extremkostenfälle stark beeinflusst und der Vergleich zwischen Untersuchungs- und Kontrollgruppe damit verzerrt werden. Die Vergleichsanalysen erfolgen daher, nachdem eine einseitige Winsorisierung der Krankenhaus-Ausgabendaten durchgeführt wurde (Shete et al. 2004: 153 ff.). Nach einer explorativen Analyse der Daten wurden diejenigen Werte, die das 95 %-Quantil übersteigen, durch diese ersetzt (Interventionsversicherte: 13.584 Euro Ausgaben p.a.; Kontrollgruppe 14.722 Euro Ausgaben p.a). Durch diese Methode konnten sowohl in der Kontroll- als auch in der Interventionsgruppe extreme Kostenausreißer eliminiert, aber gleichzeitig der Stichprobenumfang beibehalten werden.
Evaluationsergebnisse: vermeidbare Krankenhausaufenthalte und Krankenhausausgaben sinken
Im Auswertungszeitraum 1. Mai 2009 bis 30.04.2010 hatten insgesamt 3.826 Versicherte in der Interventionsgruppe keinen Krankenhausaufenthalt und damit verbunden keine stationären Leistungsausgaben, das entspricht einem Anteil von 57,1 %. In der Kontrollgruppe lag dieser Anteil mit 53,5 % um 3,6 Prozentpunkte unter diesem Anteil. In Tabelle 2 sind alle Teilergebnisse hierzu gegenübergestellt. (Tab 2)
Der höhere Anteil an Nicht-Inanspruchnahme von stationären Leistungen bei den Interventionsversicherten ist ein Indiz für einen positiven Programmeffekt und kann als Vermeidung von Krankenhausfällen durch die Teilnahme am Casaplus®-Programm interpretiert werden. Unter Verwendung der Statistiksoftware SPSS 12.0 ist durch eine Logistische Regression die Odds Ratio, d.h. der Faktor, um den sich die „Chance“ eines Krankenhausaufenthalts zwischen Interventionsgruppe und Kontrollgruppe unterscheidet, berechnet und auf Signifikanz getestet worden. Der ermittelte Wert beträgt 0,863. Das konventionell übliche Signifikanzniveau einer Irrtumswahrscheinlichkeit von maximal 5 % wird bei dieser Effektstärke mit 5,4 % Irrtumswahrscheinlichkeit nur knapp verfehlt. Bei der Bewertung dieses Befunds und ebenso der übrigen in Tabelle 3 dargestellten Ergebnisse ist folgendes zu berücksichtigen: Aufgrund des beschriebenen Studiendesigns umfasst die Interventionsgruppe auch Versicherte, die nicht tatsächlich am Programm teilnehmen. Konkret betrug der Anteil der tatsächlichen Teilnehmer in der Interventionsgruppe nur 19 %. Der Effekt wird jedoch auf der Ebene der gesamten Interventionsgruppe gemessen und getestet. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass beinahe das 5%-Signifikanzniveau erreicht wird.
In der Abbildung 2 liegt der Fokus auf den Versicherten, die stationäre Leistungen im Berichtsjahr in Anspruch genommen haben. Dargestellt sind die Versichertenanteile nach Ausgabenklassen. Man erkennt hier, dass in der Kontrollgruppe der Versichertenanteil in den niedrigeren Ausgabenklassen überwiegt. Es wird deutlich, dass insbesondere in diesem Bereich eine Vermeidung von Krankenhausfällen durch das Programm stattfindet. Die Krankenhausfälle, bei denen höhere Kosten verursacht werden, sind vermutlich eher auf schwerwiegende Erkrankungen zurückzuführen, bei denen Krankenausaufenthalte durch die Betreuung im Programm nicht vermieden werden konnten.
Im Durchschnitt hatten die Versicherten in der Interventionsgruppe im Untersuchungszeitraum von einem Jahr Krankenhausausgaben in Höhe von 2.333 Euro, in der Kontrollgruppe waren diese Ausgaben höher und betrugen durchschnittlich 2.580 Euro. Auch die Krankenhausausgaben aller Versicherten, die überhaupt einen Krankenhausaufenthalt hatten, lagen in der Kontrollgruppe über denen in der Interventionsgruppe. Die durchschnittliche Zahl der Krankenhausfälle innerhalb des untersuchten Zeitraums war in der Interventionsgruppe niedriger als in der Kontrollgruppe. In Tabelle 3 sind die durchschnittlichen Krankenhausausgaben mit den zugehörigen 95 %-Konfidenzbereichen in Klammern dargestellt (Tab. 3)
Niedrigere Ausgaben durch
positiven Programmeffekt
Die Vertragsgestaltung zwischen der MedicalContact AG und den teilnehmenden Krankenkassen über das Fallmanagement Casaplus® sieht u. a. eine Erfolgsbeteiligung an den jährlichen durchschnittlichen Krankenhauseinsparungen vor. Daher ist es für die MedicalContact AG zusätzlich zu den hier dargestellten Ergebnissen von Interesse, wie groß der Effekt durch das Fallmanagement Casaplus® bezogen auf die tatsächlich Programmteilnehmer ist. Von allen Versicherten in der Interventionsgruppe haben insgesamt 19 % tatsächlich am Fallmanagement Casaplus® teilgenommen. Um diesen Vergleich durchzuführen wäre das naheliegende Studiendesign eine Randomisierung der Versicherten auf Basis aller am Fallmanagement Casaplus® teilnahmebereiten Versicherten. Dies hätte aber zur Folge, dass man Versicherte vom Programm ausschließt, die ihre Teilnahmebereitschaft schon signalisiert haben. Ein solches Vorgehen ließe sich in der Praxis nur schwer umsetzen.
Um dennoch bei dem hier angewendeten und oben dargestellten Studiendesign die Größe des Programmeffektes bezogen auf die tatsächlichen Programmteilnehmer modellieren zu können und dabei nicht auf methodisch problematische Vorher-Nachher-Vergleiche zurückgreifen zu müssen (Lange 2006: 272), wird unterstellt, dass sich die Kontrollgruppe ähnlich zur Gruppe der Interventionsversicherten bezogen auf die theoretische Teilnahmebereitschaft am Programm zusammensetzt. Es wird dabei zum einen unterstellt, dass im Falle einer Kontaktierung der Kontrollgruppe analog zur Interventionsgruppe auch 19 % aller Versicherten am Programm teilgenommen hätten und weiter, dass die verbleibenden 81 % die gleiche Inanspruchnahme von stationären Leistungen gehabt haben wie die Nicht-Teilnehmer in der Interventionsgruppe. Aus den Ergebnissen über die Krankenhausausgaben in der Interventions- und der Kontrollgruppe und den beobachteten Ergebnissen über die Teilpopulation der Programm-Teilnehmer kann auf die erwarteten Krankenhausausgaben der Teilpopulation der „erwarteten“ Programmteilnehmer in der Kontrollgruppe geschlossen werden (Tab. 4).
Im Ergebnis zeigt diese Gegenüberstellung bei den im Programm Casaplus® betreuten Versicherten je Versichertenmonat um 108 Euro niedrigere Krankenhauskosten als erwartet. <<