Steuerungspotenzial und Umsetzung von Arzneimittelrabattverträgen: eine Bestandsaufnahme der Deutschen BKK
Seit 2003 hat der Gesetzgeber mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) den gesetzlichen Krankenkassen die Möglichkeit eingeräumt, Rabattverträge mit pharmazeutischen Herstellern abzuschließen. Dieses Instrument fand allerdings erst vier Jahre später breite Anwendung, als mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) Apotheken zur bevorzugten Abgabe von rabattierten Arzneimitteln verpflichtet wurden. Erst dieser Schritt hat das Potenzial der Rabattverträge offengelegt, steuernd in die Arzneimittelversorgung einzugreifen. Durch Verschiebung von Marktanteilen und Rabatten wurde eine - häufig akademisch geführte - Diskussion über die Umsetzung und Umsetzbarkeit der Rabattverträge entfacht. Mit diesem Beitrag soll ein Rückblick über die Entwicklung der Generika-Rabattverträge bei der Deutschen BKK, ein Blick auf zu klärende Fragen bei der Umsetzung und ein Ausblick auf Ausschreibungskonzepte gegeben werden.
>> Arzneimittelrabattverträge sind heute eines der wichtigsten Instrumente der Gesetzlichen Krankenversicherung, um die Arzneimittel-Ausgaben - hauptsächlich im generikafähigen Markt (nur auf diesen wird sich im Folgenden bezogen) - zu beeinflussen. Sie sind ein finanzielles Muss (Heltweg et al. 2010), das keine Kasse ungenutzt lässt. Alle 186 gesetzlichen Krankenkassen hatten im September 2009 Rabattverträge gemeldet. Zum ersten Mal bekam die gesetzliche Krankenversicherung die Möglichkeit, gestaltend in den Arzneimittelmarkt einzugreifen – vom „Payer zum Player“ wurde schnell zum geflügelten Wort.
Wahl des Rabattpartners – Entscheidung über
wirtschaftliche Angebote
Die Deutsche BKK hatte die Möglichkeit von Rabattverträgen frühzeitig analysiert und ihren ersten Vertrag bereits 2005 abgeschlossen. Bei der Auswahl möglicher Rabattvertragspartner war damals wie heute entscheidend: Was zahlen wir unter dem Strich? D.h. der im Weiteren sogenannte Nettopreis war und ist aus unserer Sicht entscheidend für die Wirtschaftlichkeit eines Rabattvertrages. Klarstellend wird hier angemerkt, dass der Begriff Nettopreis nicht im steuerrechtlichen Sinne zu verstehen ist, sondern der Preis ist, der sich aus dem zu zahlenden Apothekenverkaufspreis abzüglich gesetzlich vorgeschriebener Rabatte (Apothekenabschlag, Herstellerrabatte) [und ggf. bilateral vereinbarten Rabatten nach §130a Abs. 8 SGB V] ergibt.
Neben dem harten Preiskriterium haben sich die weichen Kriterien im Laufe der Jahre geändert. In 2005, als noch niemand Kontakt mit Rabattverträgen hatte – weder Krankenkassen noch Pharmaindustrie, Apotheker oder vor allem der Kunde – war ein wirkstoffbezogener Abschluss undenkbar bzw. stand überhaupt nicht zur Diskussion. Die ersten Gehversuche wurden mit Sortimentsverträgen gemacht, die eine möglichst breite Produktpalette besaßen. Heute wiederum ist ein Sortimentsvertrag undenkbar.
Seit der Umsetzung des GKV-Organisationsweiterentwicklungsgesetzes (GKV-OrgWG) am 1. Januar 2009 gilt auch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkung für gesetzliche Krankenkassen (§ 69 SGB V). Der EuGH bestätigte im Juni des gleichen Jahres, dass gesetzliche Krankenkassen öffentliche Auftraggeber sind. Neue Rabattverträge können bei Überschreitung des Schwellenwertes nur über ein förmliches Vergabeverfahren abgeschlossen werden. Die meist gewählte Variante ist hierbei die Ausschreibung, die aufgrund des Umsatzvolumens zudem in der Regel europaweit durchgeführt werden muss.
Warum das Abstellen auf den Nettopreis? Rabatt und Verlagerungseffekt
Einfacher und wohl am häufigsten praktiziert war zu Beginn der Rabatt-Ära der Abschluss von Sortimentsverträgen mit marktführenden Herstellern, die im Generikabereich eine Marke aufgebaut hatten und beim Kunden bereits durch ein breites OTC-Sortiment bekannt waren. Allerdings zählten sie auch häufig zu den Marktführern bezüglich der Preise.
Bei der Analyse des generikafähigen Marktes wird schnell deutlich:
• Altoriginale spielen eine immer geringere Rolle, je länger der Patent-ablauf zurückliegt
• der Hauptumsatz entfällt auf hochpreisige, generische Marktführer
• die Preisunterschiede zwischen Generika sind zum Teil erheblich.
Deutlich werden diese Preisunterschiede an dem Beispiel Simvastatin 40 mg, 100 Stück. In Abbildung 1 ist die Preisentwicklung der hochpreisigen Alternativen im Vergleich zum jeweils drittgünstigsten Preis sowie zum Festbetrag dargestellt (Abb. 1).
Hochpreisige generische Marktführer senken ihre Preise vor allem, wenn eine Festbetragsabsenkung sie dazu zwingt. Günstige Anbieter senken ihre Preise dagegen kontinuierlich, im Extremfall alle 14 Tage und vergrößern damit stetig die Differenz zu den teuersten Alternativen und zum Festbetrag.
Am Stichtag 01.06.2006 hätte ein Produkt aus dem hochpreisigen Marktführersegment einen Rabatt von 2 % auf den Herstellerabgabepreis (HAP), das teuerste Generikum einen Rabatt von 41 % auf den HAP (unter Berücksichtigung bereits gezahlter gesetzlicher Rabatte) zahlen müssen, um den Nettopreis des drittgünstigsten Produktes zu erreichen. Am 01.06.2008 wären es bei beiden 50 % Rabatt gewesen. Selbst im Jahr 2009, in dem die Differenz nicht mehr so groß war, waren es durchschnittlich knapp 5 Euro pro Packung. Bei einem solchem Blockbuster wie Simvastatin hätte eine fiktive 100 %-Versorgung mit einem hochpreisigen Produkt nur für diese eine Wirkstärke und Packungsgröße (40 mg 100 Stk.) in 2009 für die Deutsche BKK Mehrkosten in Höhe von 300.000 Euro gegenüber der Versorgung mit ihren Rabattpartnern, die zu den drei günstigsten Anbietern zählen, bedeutet. In diese Überlegung sind noch keine rückerstatteten Rabatte eingeflossen.
Aus diesem Grund sehen wir den Verlagerungseffekt hin zu einem günstigen Anbieter als den entscheidenden Faktor bei der Beeinflussung der Arzneimittelausgaben an. Der Rabatt eines hochpreisigen Anbieters muss diese Differenz zunächst ausgleichen, bevor echte Einsparungen realisiert werden können.
Was sagen Statistiken aus?
Übersichten über die unter Vertrag stehenden Pharmazentralnummern oder die von der Industrie rückerstatteten Beträge sind irreführend, weil sie die Steuerung, die mit den Rabattverträgen möglich und gewünscht ist, nicht berücksichtigen.
Mit einer Pharmazentralnummer (PZN) ist der gesamte korrespondierende austauschbare Markt vertraglich abgedeckt. Eine Krankenkasse entscheidet sich möglicherweise für mehrere Rabattpartner für das gleiche Produkt (Wirkstoff, Wirkstärke, Packungsgröße), um durch eine kleine Auswahl die Umsetzung für Apotheke und Kunde leichter zu gestalten. Durch jedes weitere Produkt wird die Steuerwirkung aber reduziert, bis sie im Extremfall, wenn alle PZN unter Vertrag sind, aufgehoben ist und keinerlei Steuerung stattfindet. Dann kann eine Marktverteilung entsprechend der Zeit vor den Rabattverträgen erwartet werden.
Auch die von der Industrie rückerstatteten Beträge sind nicht aussagekräftig, um die Einsparungen der Krankenkassen darzustellen. Der Verlagerungseffekt, der von vornherein günstigere Arzneimittelausgaben bedeutet, wird nicht dargestellt. Bei Verträgen mit günstigen Anbietern ist für das gleiche Nettoergebnis der Krankenkasse ein geringerer Rückerstattungsbetrag notwendig als bei einem Vertrag mit einem hochpreisigen Anbieter.
Die Deutsche BKK hat im Jahr 2009 ca. 17 Millionen Euro Einsparungen mit den Rabattverträgen erzielt. Davon stammen mehr als die Hälfte aus dem Verlagerungseffekt. Gut ein Drittel der Einsparungen kamen den Versicherten direkt durch die Befreiung von der Zuzahlung für generische Rabattvertragsprodukte zugute. Der Restbetrag stand den Versicherten indirekt für Leistungen zur Verfügung.
Steuerung der Umsetzung – vor und
nach dem 01.04.2007
Der erste Vertragsabschluss der Deutschen BKK lag zeitlich lange vor gesetzlich verankerten Umsetzungsgeboten. Welche Steuerungsinstrumente standen überhaupt zur Verfügung? Kundeninformation und die Befreiung von der Zuzahlung für die rabattierten Produkte führten zu einer Verdreifachung des Marktanteils des Rabattpartners und gelten auch heute noch als wirksame Instrumente u.a. der Kundenbindung.
Obwohl bereits seit 2002 die Regeln zum Aut-idem-Austausch existierten und der Apotheker verpflichtet war (wenn der Arzt den Austausch nicht ausgeschlossen hatte), das verordnete oder eines der drei preisgünstigsten Produkte abzugeben (bei Wirkstoffverordnungen nur eines der drei preisgünstigsten), wurden diese Regeln erst ab April 2007 im Zusammenhang mit der Abgabeverpflichtung von Rabattprodukten in nennenswertem Umfang umgesetzt (Hoffmann et al., 2010).
Der Marktanteil der Rabattpartner stieg im April 2007 sprunghaft an und entwickelte sich von da an kontinuierlich weiter (Abb. 2).
Stolpersteine für die Umsetzung
Für 60 % des generikafähigen Marktes liegen Aussagen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Austauschbarkeit (Aut-idem Gruppen) vor.
Die Austauschbarkeit von Arzneimitteln ist im Rahmenvertrag nach §129 Abs. 2 SGB V geregelt. § 4 Abs. 3 lautete vor April 2007 „… [zum Austausch stehen] die drei preisgünstigsten Arzneimittel zur Auswahl, die in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen sind und ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzen. Die Austauschbarkeit von Darreichungsformen richtet sich nach den Hinweisen in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Nr. 6 SGB V.“
Ab April 2007 lautete die Neufassung desselben Paragraphen: „Die Auswahl dieser Arzneimittel setzt voraus, dass sie in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen sind und ferner die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzen und das Arzneimittel einer Gruppe wirkstoffgleicher Arzneimittel zuzuordnen ist, für die der Gemeinsame Bundesausschuss Hinweise zur Austauschbarkeit nach § 129 Abs. 1a SGB V gegeben hat.“
Diese neue Fassung ergab unerwarteten Spielraum für semantische Interpretationen.
Lesart 1: „… ferner die gleiche [Darreichungsform besitzen] - oder eine austauschbare Darreichungsform besitzen und das Arzneimittel einer Gruppe wirkstoffgleicher Arzneimittel zuzuordnen ist.“, d.h. nur bei nicht identischen Darreichungsformen muss auch ein Hinweis zur Austauschbarkeit durch den G-BA vorliegen, um ein Arzneimittel austauschen zu können. Diese Lesart entspricht der alten Fassung des § 4 Abs. 3 des Rahmenvertrags.
Lesart 2: Sowohl bei gleichen als auch bei austauschbaren Darreichungsformen gilt die Austauschverpflichtung nur für solche Arzneimittel/Wirkstoffe für die ein Hinweis des G-BA zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen vorliegt.
Unklar ist, warum es der Wille der Vertragsparteien hätte sein sollen, die Austauschverpflichtung enger zu fassen als in der Vergangenheit.
Im Sinne der Klarstellung wurde im April 2008 eine Neufassung des Rahmenvertrages veröffentlicht. Seit dem gilt die Austauschverpflichtung wieder für Darreichungsformen mit identischer Bezeichnung und für austauschbare Darreichungsformen mit Hinweis zur Austauschbarkeit durch den G-BA – wie auch vor April 2007.
Auch bei Apothekern war die Lesart der Neufassung nicht eindeutig – zumindest im April 2007. Danach beschränkte man sich doch vorrangig auf den Austausch von Arzneimitteln, für die ein Hinweis zur Austauschbarkeit durch den G-BA vorlag. (Abb. 3)
Einen weiteren, ebenso deutlichen Schub für die Umsetzung der Rabattverträge wie die erstmalige Verpflichtung zur bevorzugten Abgabe im April 2007 hat die Neufassung der Rahmenvereinbarung im April 2008 bei der Deutschen BKK nicht gebracht. Etwas verzögert stieg im dritten Quartal 2008 die Umsetzungsquote nochmals an und hält sich seit dem mit leichten Steigerungen bei über 70 %.
Im Durchschnitt werden die Rabattverträge in der Apotheke also mittlerweile gut umgesetzt. Dabei war auch die Umsetzungsrate schon direkt zu Beginn der Verträge sehr unterschiedlich und eine differenzierte Betrachtungsweise ist unbedingt angebracht. Bereits im dritten Quartal 2007 mit Auslaufen der Friedenspflicht gab es durchaus Apotheken, die die Rabattverträge zu über 90 % bedienten. Andere bedienten die Verträge dagegen zu weniger als 10 %. Auch heute ist das Bild – wenn auch nicht mehr ganz so extrem – noch differenziert. So wendet sich die Deutsche BKK bei Beanstandungen der Abrechnung gezielt an solche Apotheken, die die Verträge schlechter als der Durchschnitt bedienen. Hierbei werden selbstverständlich Aut-idem-Kreuze und Kennzeichen wegen pharmazeutischer Bedenken berücksichtigt (Abb. 4).
Essenziell für die Umsetzung der Rabattverträge ist die Software in der Apotheke. Ohne diese geht gar nichts mehr. Dies ist bei der Vielzahl von Krankenkassen und Rabattverträgen zwar nachvollziehbar, leider bleibt dabei aber auch immer wieder der gesunde Menschverstand auf der Strecke.
An Diskussionen, über die Auslegung des Stichworts identische Packungsgrößen, beteiligen wir uns nicht. Unserer Ansicht nach kann damit nur die exakte Stückzahl gemeint sein.
Ob unterschiedliche Darreichungsformen bei einem Wirkstoff austauschbar sind oder nicht, ist abschließend in der Anlage VII zum Abschnitt M der Arzneimittel-Richtlinie festgeschrieben. Ob es aus pharmazeutischer Sicht immer Sinn macht, Kapseln und Tabletten zu tauschen oder ob umgekehrt Filmtabletten und Tabletten tatsächlich nicht austauschbar sind, spielt hierbei keine Rolle mehr.
Das Sonderkennzeichen für Nichtverfügbarkeit rabattbegünstigter Arzneimittel kann genutzt werden, um auch elektronisch auswertbar pharmazeutische Bedenken zu dokumentieren. Im begründeten Einzelfall ist dies aus unserer Sicht ein sinnvolles Instrument. Bei Dauerverordnungen bietet sich ein Kontakt mit dem verschreibenden Arzt an, um die Verordnung direkt entsprechend auszustellen.
Leider gibt es auch bei diesem Thema schwarze Schafe, die ein sinnvolles Instrument in Misskredit bringen, indem sie pauschal bei jeglicher Verordnung pharmazeutische Bedenken anmelden. Diese Blockade-Haltung verhindert einen respektvollen Umgang miteinander und fügt der GKV hohen wirtschaftlichen Schaden zu.
Wichtig ist neben der handschriftlichen Beschreibung der pharmazeutischen Bedenken auf der Verordnung die Verwendung des Sonderkennzeichens, da der Hinweis sonst bei der maschinellen Auswertung nicht berücksichtigt werden kann. Es ist für jeden sicherlich nachvollziehbar, dass bei über sieben Millionen Rezepten im Jahr die Überprüfung der Erfüllung der Rabattverträge nicht manuell bzw. als Dialog-Prüfung am Bildschirm erfolgt und nur maschinell geleistet werden kann.
Weitere Streitigkeiten, z.B. ob verschiedene Salze eines Wirkstoffs noch ein identischer Wirkstoff sind, wurden ebenfalls durch die Neufassung der Rahmenvereinbarung im April 2008 geklärt. Nun besteht Einigkeit, dass z.B. 200 mg Metoprololtartrat und 190 mg Metoprololsuccinat austauschbar sind.
Ein noch immer aktueller Streitpunkt ist der gleiche Indikationsbereich. Was ist damit gemeint? Das Anwendungsgebiet im Sinne eines Überbegriffs oder jede Einzelindikation? Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) äußerte sich in einem Rundschreiben vom 21.11.2008 dahingehend, dass irgendeine Indikation die zwei ansonsten austauschbare Arzneimittel gemeinsam haben, ausreicht, um die Austauschbarkeit herzustellen.
Dies ist aus unserer Sicht zu weit gefasst und geht am Thema vorbei. Allerdings sollte die häufig sehr akademisch geführte Diskussion, ob jede Einzelindikation entscheidend ist oder nicht doch - wie im Rahmenvertrag beschrieben - der Indikationsbereich übereinstimmen muss, endlich pragmatisch beendet werden.
Ein Antibiotikum zum Beispiel kann von Natur aus nur gegen Erreger wirken, die gegenüber diesem Antibiotikum empfindlich sind und es kann auch nur an einem Ort im Körper wirken, an den es aufgrund seiner Darreichungsform gelangt. Ist hier wirklich die Verschlüsselung jeder beispielhaften Aufzählung in der Fachinformation notwendig?
Oder: Einige Omeprazole haben auch eine Zulassung für die symptomatische Behandlung der Refluxkrankheit bei Kindern ab einem Jahr. Insgesamt sind weniger als 1 % der Omeprazol-Verwender Kinder. Ein Teil davon hat möglicherweise eine schwere Refluxösophagitis und ist bereits über zwei Jahre alt, so dass deutlich mehr, auch rabattierte Alternativen zur Verfügung stehen.
Die eigentliche Frage, die bleibt, ist: Kann diese Indikation, die nur für wenige Kinder (ca. 0,3 % der Verwender) überhaupt Relevanz hat, den Austausch z.B. bei einem 60-Jährigen verhindern? Unserer Ansicht nach nicht. Denn die den Erwachsenen betreffenden Indikationsbereiche stimmen – ohne die tatsächliche Diagnose zu kennen – vollkommen überein.
Ein letzter Stolperstein bei der Umsetzung der Rabattverträge ist das nicht gezielt für den begründeten Einzelfall gesetzte Aut-idem- Kreuz. Auf den Rezepten, bei denen der Einnahmehinweis ebenfalls von der Substitution ausgeschlossen wurde, war wohl die Arzt-Software eigenmächtig tätig.
Leider lässt auch die korrekte Übermittlung des Aut-idem-Feldes im Datensatz von den Rechenzentren sehr zu wünschen übrig. Dabei gibt es sowohl falsch positive als auch falsch negative Datenübermittlungen. Die Datenqualität schwankt dabei deutlich zwischen den verschiedenen Rechenzentren. Auch andere Autoren haben diesen Effekt bereits beobachtet (Hoffmann et al. 2009). Dies erschwert die maschinelle Prüfung und lässt auch keine verlässliche Auswertung über den Gebrauch der Aut-idem-Kreuze zu.
Wie geht es weiter bei der Deutschen BKK?
In die Konzeption des gerade laufenden Ausschreibungsverfahrens sind unsere Erfahrungen aus den letzten vier Jahren mit Rabattverträgen insbesondere zur Umsetzung und zu pharmazeutischen Fragestellungen eingeflossen.
Folgende Punkte haben wir definiert:
a. Preismodell „Nettopreis“
b. Aufteilung nach Fachlosen pro Wirkstoff (teilweise mehrere
Fachlose pro Wirkstoff)
c. Auswahl der auszuschreibenden Wirkstoffe, nicht Berücksichti-
gung von Wirkstoffen für kritische Indikationen
d. Klare Vorgabe der Wirkstärken, Packungsgrößen, Darreichungsformen und der geforderten Indikationsbereiche für jedes Fachlos
e. Anzahl der Zuschläge: bis zu drei pro Fachlos
f. Laufzeit der Verträge mindestens zwei Jahre – maximal vier Jahre
g. Befreiung von der Zuzahlung für Vertragsprodukte
A. Das Preiskonzept entspricht unserem Credo, das wir von Beginn an konsequent verfolgt haben: Es zählt der Preis, den wir unter dem Strich zahlen, nicht z.B. der höchste gebotene Rabattsatz.
B. Die Konzeption als Fachlose auf Wirkstoffebene sichert den Mittelstandsschutz, zu dem gesetzliche Krankenkassen verpflichtet sind. Diese Aufteilung führt andererseits natürlich zu einer Vielzahl von Verträgen.
C. Bei der Frage, welche Wirkstoffe sinnvoll ausgeschrieben werden können, ist eine fachliche, pharmazeutische Beurteilung notwendig. So wurden für die Ausschreibung keine Wirkstoffe berücksichtigt, die für eine kritische Indikation wie z.B. Epilepsie oder Parkinson zugelassen sind oder deren Darreichungsform kritisch ist. Zum Beispiel bei inhalativen Asthmamedikamenten wäre ein Präparatewechsel häufig auch mit einem neuen Inhalator verbunden, auf den zunächst geschult werden müsste, so dass eine Ausschreibung im Sinne der Compliance und des Therapieerfolges nicht für sinnvoll erachtet wurde.
D. Unsere Kunden definieren den Bedarf. D.h. für jeden Wirkstoff wurde überprüft, welche Packungsgrößen und Wirkstärken versorgungsrelevant sind. So ist sichergestellt, dass der Apotheker auch gemäß der Rahmenvereinbarung nach §129 Abs. 2 SGB V das verordnete gegen ein rabattiertes Arzneimittel austauschen kann. Die möglichen Darreichungsformen je Fachlos sind durch die Anlage VII zum Abschnitt M der Arzneimittel-Richtlinie vorgegeben. Als Novum und bisher einmalig haben wir in der Ausschreibung auch die geforderten Anwendungsgebiete definiert, um auch in diesem Punkt optimale Vorraussetzungen für die Umsetzung der Verträge zu schaffen.
E. Eine Zeit lang bestand bezüglich der Anzahl der möglichen Zuschläge rechtliche Unsicherheit, die aber seit dem Urteil des LSG Essen aus dem September 2009 beseitigt ist. Somit sehen auch wir uns in unserer Konzeption bestätigt, bis zu drei Zuschläge pro Los vorzusehen. Aus unserer Sicht überwiegen die Vorteile bei diesem Vorgehen. Der Kunde kann, falls er dies möchte, zwischen verschiedenen Alternativen wählen und auch die allgemeine Liefersicherheit für einen Wirkstoff erhöht sich, wenn sich das Volumen über drei Partner verteilt. Die Liefersicherheit insbesondere zu Beginn der Verträge wird durch eine zügige Information der Apothekenverbände und des Großhandels nach Zuschlagerteilung und ein verzögertes Inkrafttreten der Verträge unterstützt.
F. Diese neuen Verträge werden für eine Laufzeit von mindestens zwei Jahren geschlossen. Aus vergaberechtlichen Gründen ist eine Laufzeit von maximal vier Jahren möglich. Wie auch in der Vergangenheit sind wir an einer konstanten Arzneimittelversorgung interessiert. D.h. möglicherweise ist nun einmalig ein Präparatewechsel notwendig. Danach kann der Kunde sein Präparat aber für mindestens zwei Jahre ohne weitere Wechsel erhalten. Damit schaffen die Rabattverträge eine deutlich höhere Kontinuität, als eine konsequent umgesetzte Aut-idem-Substitution, bei der im Extremfall alle 14 Tage ein anderes Produkt abzugeben wäre.
G. Ùnsere Kunden profitieren direkt und indirekt von den Einsparungen durch die Arzneimittelausschreibung. Ein Teil fließt direkt spürbar in die Befreiung von der Zuzahlung, ein nicht zu verachtender Anreiz für den Kunden, gezielt Rabattprodukte nachzufragen: „Gibt es das Produkte bei meiner Krankenkasse nicht auch ohne Zuzahlung?“
Eckdatenpapier Arzneimittel
Sehr ausführlich sind wir auf die steuernde Wirkung der Rabattverträge und das Einsparpotenzial durch den Verlagerungseffekt eingegangen. Auch der Zugang zu einem sehr großen Marktanteil bezogen auf den Vertragsgegenstand ist für den eingeräumten Rabatt durch den Hersteller entscheidend.
Dies soll nun nach den kürzlich veröffentlichten Plänen der Bundesregierung konterkariert werden. Der Kunde soll die Möglichkeit erhalten, durch Erstattung nach dem Mehrkostenprinzip frei zu wählen, ob er das Rabattprodukt seiner Krankenkasse oder ein nicht rabattiertes Produkt nehmen möchte. Die Einsparverluste für die GKV werden sich bei diesen Plänen nicht auf die bloße Preisdifferenz laut Lauer-Taxe beschränken, die im Einzelfall vielleicht tatsächlich nicht besteht, auch nicht auf die reine Preisdifferenz inklusive des entgangenen Rabattes. Die Rabatthöhe als solche wird sich möglicherweise wieder auf das Niveau der ersten Verträge reduzieren, einfach aus dem Grund, dass auch der Marktanteil, der hinter den Verträgen steht, auf dieses Niveau sinken würde. Stehen dann noch interessante und interessierte Rabattpartner zur Verfügung?
Zudem haben die Rabattverträge zu einem weiteren Preiswettbewerb beigetragen. Bei den letzten Patentabläufen wie z.B. bei Risperidon reduzierte sich der Preis innerhalb weniger Monate auf ein Drittel (Hoffmann et al. 2009). Auch dieser Effekt könnte verloren gehen.
Völlig unbeachtet scheint der Verwaltungsaufwand zu sein, der durch die Kostenerstattung entstehen würde in einem Bereich, der dieses Prinzip heute praktisch überhaupt nicht kennt. Im generikafähigen Markt rechnete die Deutsche BKK in 2009 pro Monat durchschnittlich über 300.000 Rezepte ab. Wenn man von einer Inanspruchnahme von nur 10 % ausgeht, wären das bereits 30.000 Erstattungsanträge pro Monat, die künstlich erzeugt würden, ohne für irgendeinen Beteiligten einen Vorteil zu bieten. Auch heute gibt es schon vor allem für den Arzt, aber auch für den Apotheker die Möglichkeit, im begründeten Einzelfall den Austausch auf ein Rabattprodukt auszuschließen. Darüber hinausgehende Regelungen halten wir für nicht zielführend. Die Gesetzliche Krankenversicherung würde wieder zum Payer degradiert und einzig der Aufwand in der Verwaltung erhöht.
Fazit
Rabattverträge sind aus unserer Sicht eine Erfolgsgeschichte. Mit keinem früheren Instrument konnte die gesetzliche Krankenkasse in diesem Maße eigenständig Einfluss auf die Arzneimittel-Versorgung und auf die Ausgaben in einem Sektor des Arzneimittelmarktes nehmen. Die Aut-idem-Regelung ist erst durch die Rabattverträge und die Austauschverpflichtung wirklich umgesetzt worden. Aufgrund dieser Erfahrung kann anderen Modellen, die die Entscheidung über die Steuerung wieder in andere Hände als die der GKV geben wollen, nur eine Absage erteilt werden.
Allerdings sollte die GKV sich ihrer Verantwortung für eine gute Arzneimittel-Versorgung bewusst sein und neben dem Preis auch pharmazeutische und medizinische Fragestellungen berücksichtigen und dies in die Vertragsgestaltung mit einfließen lassen. <<