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Rechtlicher Rahmen und Bewertungspraxis des IQWiG

Mit der Gründung des IQWiG vor 5 Jahren verfolgte der Gesetzgeber den Zweck, Rationierungen im Gesundheitswesen weiter aufschieben zu können, indem die Mittelverwendung rationaler erfolgt. Um hierfür eine insbesondere von der Industrie unabhängige Entscheidungsgrundlage zu haben, soll das IQWiG Therapien fachlich unabhängig bewerten. Indessen steht die Arzneimittelbewertung des Instituts selbst in der öffentlichen Kritik, sie erfolge tendenziös. Eine nicht medizinische, sondern juristische Bewertung der Arzneimittel-Bewertungspraxis des IQWiG zeigt dabei in der Tat Diskrepanzen zwischen den gesetzlichen Anforderungen und der Bewertungspraxis auf, was insbesondere die Definition des Auftrags und die Methodenwahl betrifft.

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.08.2009

Abstrakt: Rechtlicher Rahmen und Bewertungspraxis des IQWiG

Mit der Gründung des IQWiG vor 5 Jahren verfolgte der Gesetzgeber den Zweck, Rationierungen im Gesundheitswesen weiter aufschieben zu können, indem die Mittelverwendung rationaler erfolgt. Um hierfür eine insbesondere von der Industrie unabhängige Entscheidungsgrundlage zu haben, soll das IQWiG Therapien fachlich unabhängig bewerten. Indessen steht die Arzneimittelbewertung des Instituts selbst in der öffentlichen Kritik, sie erfolge tendenziös. Eine nicht medizinische, sondern juristische Bewertung der Arzneimittel-Bewertungspraxis des IQWiG zeigt dabei in der Tat Diskrepanzen zwischen den gesetzlichen Anforderungen und der Bewertungspraxis auf, was insbesondere die Definition des Auftrags und die Methodenwahl betrifft.

Abstract: German Institute for Quality and Economic Efficiency in the Healthcare Sector: Legal Framework and Evaluation Practice

Through its founding of the German Institute for Quality and Economic Efficiency in the Healthcare Sector (IQWiG) 5 years ago, the lawmaker pursued the aim of a further deferral of rationing in the healthcare sector through more rational use of resources. To establish a basis for decision-making which is independent of industry in particular, IQWiG is to carry out independent technical evaluations of therapies. However, the institute’s evaluation of medicinal products has come in for public criticism on grounds of bias. An assessment of IQWiG’s medicine evaluation practice which is legal rather than medical in nature does indeed reveal discrepancies between the statutory requirements and the institute’s evaluation practice, particularly with regard to the definition of its mandate and its choice of methods..

Literatur

Bundessozialgericht: Urteil vom 31.05.2006 – B 6 KA 13/05 R. Dierks Ch, Nitz G, Grau U, Mehlitz A: IQWiG und Industrie, Springer 2008. Engelmann K: Die Kontrolle medizinischer Standards durch die Sozialgerichtsbarkeit, Medizinrecht 24 (2006): 245-259. Gemeinsamer Bundesausschuss: Verfahrensordnung des Gemeinsamen Bundesausschusses in der Fassung vom 18.12.2008. Huster St, Penner A: Legitimationsprobleme des IQWiG bei der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln, VSSR 4/2008: 221-241. IQWiG: Allgemeine Methoden, Version 3.0 vom 27.05.2008. IQWiG: Urin- und Blutzuckerselbstmessung bei Diabetes mellitus Typ 2, Berichtsplan, Auftrag A05-08, Version 2.0, Stand: 29.01.2009. Kingreen T: Gerichtliche Kontrolle von Kriterien und Verfahren im Gesundheitsrecht, Medizinrecht 25 (2007): 457-464. Kügel W: Beteiligung und Rechtsschutz der Arzneimittelhersteller bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch das IQWiG. Neue Zeitschrift für Sozialrecht 2006: 232-237, 297-303. Letzel H: Das deutsche „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen” (IQWiG) im Spiegel seines Auftrags und seiner Aktivitäten, Pharm.Ind. 67 (2005), Nr. 12: 1399-1412. Maassen B, Uwer D: Verfahrensrechtliche Fragen zum Methodenpapier des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen vom 1. März 2005, Medizinrecht 24 (2006): 32-39. Sackett DL, Rosenberg WMC, Gray JA, Haynes RB, Richardson WS: Evidence-Based medicine: What it is and what it isn`t. BMJ 1996; 312: 71-72.

Zusätzliches

Plain-Text

Rechtlicher Rahmen und Bewertungspraxis des IQWiG

„Die Geschichte der CEA könnte als Geschichte des ,creative writing‘ erzählt werden“, schreibt der kommissarische Leiter des Kölner Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie im „Monitor Versorgungsforschung“ 01/09 (S. 38). Dies gilt nicht nur für Kosten-Effektivitäts-Analysen (CES), sondern auch für Bewertungen des Nutzens von Arzneimitteln. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat der Gesetzgeber mit dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ein Institut geschaffen, das fachlich unabhängig insbesondere den Nutzen von Arzneitherapien im System der Gesetzlichen Krankenversicherung bewerten soll. Nach fünf Jahren IQWiG werfen Kritiker dem Institut jedoch zunehmend selber ergebnisorientierte Kreativität vor. Juristisch lässt sich dieser Vorwurf nicht abschließend bewerten; einige Aspekte der Bewertungspraxis scheinen aber tatsächlich mit dem geltenden rechtlichen Rahmen nicht mehr in Einklang zu stehen.

>> Das IQWiG ist ein privatrechtlich organisiertes Institut, das über keine staatlichen Hoheitsrechte verfügt. Vielmehr ist es ein wissenschaftliches Institut, das zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die Qualität und Wirtschaftlichkeit der im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Leistungen Bewertungen abgeben und neben dem Gemeinsamen Bundesausschuss und dem Bundesministerium für Gesundheit auch Patienten informieren soll.
Das IQWiG wird im Normalfall im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses tätig, dem es seine Arbeitsergebnisse zuleitet. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Empfehlungen des IQWiG im Rahmen seiner Aufgabenstellung zu berücksichtigen. Praktisch bedeutet dies, dass die Ergebnisse von Nutzenbewertungen des IQWiG keine rechtliche Verbindlichkeit haben. Erst die Umsetzungsakte durch den Gemeinsamen Bundesausschuss in seinen Richtlinien (z.B. Arzneimittel-, Heilmittel-, Hilfsmittel-Richtlinien) entfalten rechtliche Verbindlichkeit.

Das IQWiG hat gem. § 139a Abs. 4 SGB V zu gewährleisten, dass die Bewertung des medizinischen Nutzens nach den international anerkannten Standards der evidenzbasierten Medizin erfolgt. Zur Umsetzung dieser Vorgaben hat das IQWiG seine Methodik in einem 138seitigen Papier veröffentlicht (IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 3.0 vom 27.05.2008).
In einem konkreten Bewertungsverfahren erarbeitet das IQWiG auf der Grundlage eines Auftrages des Gemeinsamen Bundesausschusses (bzw. des Bundesministeriums für Gesundheit) zunächst einen auf den Auftrag bezogenen vorläufigen Berichtsplan, in dem die Bewertungsmethodik dargelegt wird. Da das IQWiG gem. § 139a Abs. 5 SGB V in allen wichtigen Abschnitten des Bewertungsverfahrens Sachverständigen der medizinischen, pharmazeutischen und gesundheitsökonomischen Wissenschaft und Praxis, den Arzneimittelherstellern sowie den für die Wahrnehmung der Interessen der Patienten maßgeblichen Organisationen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben hat, wird in den jüngeren Nutzenbewertungsverfahren der Berichtsplan zur Anhörung gestellt und dann ggf. in Auswertung der Anhörungsergebnisse überarbeitet. Auf der Grundlage des Berichtsplans erfolgt dann die eigentliche Bewertung, die in einem Vorbericht mündet. Dieser Vorbericht wird veröffentlicht und einem externen Review sowie einem erneuten Anhörungsverfahren der betroffenen Kreise unterworfen. Auf der Grundlage der Ergebnisse des Reviews und der Anhörungen erstellt das IQWiG sodann den Abschlussbericht.
Rechtlich kommt diesem Abschlussbericht keine Verbindlichkeit zu. Freilich wird er als Stellungnahme des IQWiG in der allgemeinen Diskussion um den Nutzen und die Wirtschaftlichkeit der begutachteten Therapien viel beachtet und entfaltet so tatsächliche Auswirkungen.
Der Abschlussbericht wird veröffentlicht und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) als Empfehlung zugeleitet. Sodann hat der GBA die Empfehlungen im Rahmen seiner Aufgabenstellung zu berücksichtigen (§ 139b Abs. 4 S. 2 SGB V). Dies bedeutet, dass der GBA nicht notwendig jede Nutzen­bewertung in einer Richtlinienentscheidung umsetzen muss. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die zeitliche Nähe einer Entscheidung des GBA als auch auf die inhaltliche Bindungswirkung. Das gesetzliche Berücksichtigungsgebot fordert insoweit allein, dass der GBA sich bei seinen Entscheidungen mit den Ergebnissen des IQWiG begründet auseinandersetzen muss.
Tatsächlich sind die Auswirkungen von IQWiG-Nutzenbewertungen auf Entscheidungen des GBA jedoch groß. Im Beschluss vom 18.12.2008 zur Einfügung eines Kapitels über die Bewertung von Arzneimitteln und Medizinprodukten formuliert der GBA denn auch, dass „die Empfehlung des IQWiG im Rahmen einer Plausiblitätskontrolle“ überprüft wird (Kapitel 4 § 8 Abs. 2 VerfO GBA). Diese – rechtlich umstrittene – Praxis des GBA führt dazu, dass Nutzenbewertungen regelmäßig in Entscheidungen des GBA übernommen und damit für das Leistungs- und Leistungserbringerrecht der Gesetzlichen Kranken­versicherung rechtsverbind­lich werden. Freilich gilt diese Rechtsverbindlichkeit dann erst mit Veröffentlichung des Beschlusses des GBA im Bundesanzeiger, der regelmäßig nicht vor 6 Monaten – eher 1 Jahr – nach Veröffentlichung des Abschlussberichtes des IQWiG erfolgt.
Ausgewählte Rechtsfragen von Nutzenbewertungen
Bindung an den Auftrag
Gemäß § 139 b Abs. 1 S. 1 SGB V beauftragt der Gemeinsame Bundesausschuss das IQWiG. Alternativ kann gem. § 139b Abs. 2 SGB V das Bundesministerium für Gesundheit die Bearbeitung von Aufgaben beim IQWiG beantragen. Im Umkehrschluss aus diesen Regelungen folgt, dass das IQWiG Nutzenbewertungen nicht aus eigener Initiative, sondern nur in Erfüllung von Aufträgen des GBA oder des BMG durchführen darf.
In der Praxis greift das IQWiG jedoch teilweise auf einen sog. Generalauftrag des Gemeinsamen Bundesausschuss vom 21.12.2004 zurück, nach dem das Institut auf den ihm gem. § 139 a Abs. 3 SGB V übertragenen Arbeitsfeldern nicht nur Einzelaufträge des Gemeinsamen Bundesausschusses bearbeitet, „… sondern aus der eigenverantwortlichen wissenschaftlichen Arbeit heraus dem Gemeinsamen Bundesausschuss für dessen gesetzliche Aufgaben notwendige Informationen über versorgungsrelevante Entwicklungen in der Medizin zur Verfügung stellt und konkrete Vorschläge für Einzelaufträge erarbeitet, die aus Sicht des Instituts vor dem Hintergrund dieser Informationen relevant sind“. Dieser Generalauftrag ist rechtswidrig, da dadurch dem IQWiG die Möglichkeit eingeräumt wird, auch ohne konkreten Einzelauftrag tätig zu werden, was der Regelung des § 139 b Abs. 1 SGB V bzw. § 35 b Abs. 1 SGB V widerspricht. Daran ändert auch der Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 18.07.2006 nichts, der „zur Konkretisierung der Beauftragung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ erlassen wurde. Diese „Konkretisierung“ besagt nämlich im Kern lediglich, dass sich die Informationspflicht des Instituts auch auf die Bereitstellung von für alle Bürger verständlichen allgemeinen Informationen zur Qualität und Effizienz in der Gesundheitsversorgung erstreckt und die Inhalte dieser Informationen ausschließlich vom Institut selbst zu verantworten sind. Mit der von einem Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschuss oder des Bundesministeriums abhängigen Arzneimittel-Nutzenbewertung hat das aber nichts zu tun.
Jenseits des Generalauftrags ist wiederholt zu beobachten, dass es das IQWiG ist, das die konkreten Nutzenbewertungsaufträge formuliert. So beauftragte zum Beispiel der Gemeinsame Bundesausschuss am 18.01.2005 das IQWiG mit zahlreichen Arbeiten. Der 20-seitige Beschluss gliedert sich in 7 Themen, die unseres Erachtens jeweils als eigenständige Aufträge zu verstehen sind. Auftrag 2 ist z.B. Diabetes mellitus Typ 2. Dieser Arbeitsauftrag wird im Hinblick auf Fragestellungen und patientenrelevante Endpunkte näher ausdifferenziert. Weiter formuliert der Gemeinsame Bundesausschuss 13 Fragestellungen, die einzelne Aspekte näher beleuchten, teilweise auf einzelne Therapien bezogen sind (z.B. Behandlung mit schnellwirkenden Insulinanaloga im Vergleich zu kurzwirksamem Humaninsulin), teilweise aber auch übergreifende Fragen formulieren, wie etwa den Bezug der Lebensführung zu den jeweiligen Therapien, aber auch z.B. „Welchen Einfluss haben Urin- bzw. Blutzuckerselbstmessung mit und ohne Gerät auf klinisch relevante Endpunkte?“
Am 22.02.2005 beauftragte dann der Gemeinsame Bundesausschuss in einem Schreiben an das IQWiG dieses, „folgende Aufträge zu bearbeiten: Auftrag zu den Behandlungsfeldern
• Diabetes mellitus Typ 1
• Diabetes mellitus Typ 2
...“
Das IQWiG unterteilte den Auftrag zum Behandlungsfeld Diabetes mellitus Typ 2 sodann in 11 (Unter-)Aufträge, von denen es dann einige, aber nicht alle selbstständig bearbeitete.
Diese Sachlage ist nach unserer Auffassung rechtlich so zu bewerten, dass der Gemeinsame Bundesausschuss dem IQWiG einen Bewertungsauftrag zum Behandlungsfeld Diabetes mellitus Typ 2 erteilt hat. Aufgabe des IQWiG ist es mithin nicht, einzelne Detailfragen in Einzelaufträgen isoliert zu bewerten, sondern umfassend die Therapie des Diabetes mellitus Typ 2 zu bewerten. Freilich spielen die Einzelfragen wie etwa ein Nutzenvergleich zwischen Insulinanaloga und Humaninsulin, die Bedeutung der privaten Lebensführung oder die Urin- und Blutzuckerselbstmessung bei der Bearbeitung des Auftrages eine wichtige Rolle, doch handelt es sich dabei um Detailfragen im Rahmen eines großen Auftrages, der vom IQWiG als ein Auftrag mit einem Abschlussbericht zu bearbeiten ist.
Rechtlich spricht für diese Sichtweise nicht nur die Wortwahl des GBA, sondern auch die gesetzliche Vorgabe, dass das IQWiG „zu Fragen von grundsätzlicher Bedeutung“ tätig wird (§ 139 a Abs. 3 SGB V). Von grundsätzlicher Bedeutung sind aber nicht die einzelnen Detailfragen der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2, sondern ist das gesamte Behandlungsniveau der wichtigen Volkskrankheit Diabetes mellitus Typ 2.
Weiterhin spricht für diese Sichtweise, dass die Unterteilung in Unteraufträge dem IQWiG ermöglicht, über – mit Worten des IQWiG – „Priorisierungen“ Einzelaspekte der Therapie des Diabetes mellitus zu fokussieren, die aus Sicht der Institutsleistung politisch besonders bedeutsam sind. Dies widerspricht jedoch der Funktion des IQWiG als von der Auftragsvergabe des Gemeinsamen Bundesausschusses abhängiges wissenschaftliches Institut mit letztlich dienendem Charakter. Die politische Verantwortung für die Auswahl der Bewertungsfelder obliegt nicht dem IQWiG, sondern dem Gemeinsamen Bundesausschuss. Tatsächlich wurde der Auftrag A05 Diabetes mellitus Typ 2 in 11 Unteraufträge ausdifferenziert, von denen 4 abgeschlossen wurden (zzgl. ein nicht mitgezählter Rapid-Report), einer in Bearbeitung ist, 6 aber noch gar nicht begonnen wurden (Stand: 25.06.2009). Hier entscheidet entgegen der gesetzgeberischen Wertung nicht der GBA über die für Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung zentralen Fragen, sondern die Institutsleitung.
Steuerung über interne Verteilung
Im Rahmen des Stellungnahmeverfahrens zum vorläufigen Berichtsplan „Urin- und Blutzuckerselbstmessung bei Diabetes mellitus Typ 2“ wurde diskutiert, warum das Ressort Medikamentöse Verfahren über die Zuckerselbstmessung durch Medizinprodukte entscheidet. Möglicher Hintergrund könnte sein, dass der Bewertungsauftrag des GBA eben die Arzneitherapien des Typ 2 Diabetes thematisierte, so dass der Auftrag ins Ressort Arzneimittelbewertung gehört. Das Befremden über die Zuordnung der Zuckerselbstmessung zu diesem Ressort resultiert dann aus der Ausdifferenzierung des GBA-Auftrages in elf Unteraufträge.
Freilich sagt diese Erklärung nichts über die Zulässigkeit dieses Vorgehens des IQWiG aus. Tatsächlich gibt es keine vom IQWiG zu beachtenden spezifischen rechtlichen Vorgaben dafür, welchem Ressort eine Bewertung zugeordnet wird. IQWiG-interne Zuordnungsregeln dienen der pragmatischen Auftragserfüllung und begründen daher keine unmittelbaren Rechte betroffener Unternehmen. Indessen erscheinen uns von Interessenvertretern im Rahmen der wissenschaftlichen Erörterung dargelegte Bedenken plausibel, dass die Zuordnung zu einer bestimmten internen Abteilung im IQWiG wegen unterschiedlicher Standards und inhaltlicher Anforderungen für das Ergebnis der Bewertung Relevanz besitzt. Die Zuordnung einer nicht medikamentösen Maßnahme zum Ressort Medikamentöse Verfahren kann so ein Indiz für ein ergebnisorientiertes und damit dann auch rechtswidrig tendenziöses Vorgehen des IQWiG bei der Nutzenbewertung sein.
IQWiG-Methodik
Gem. § 139 a Abs. 4 S. 1 SGB V hat das IQWiG zu gewährleisten, dass die Bewertung des medizinischen Nutzens nach den international anerkannten Standards der evidenzbasierten Medizin erfolgt. Maßgebliches rechtliches Beurteilungskriterium für die Rechtmäßigkeit einer IQWiG-Nutzenbewertung ist mithin die Frage, ob die Bewertung nach den Methoden des international anerkannten Standards der evidenzbasierten Medizin erfolgt.
Dabei tritt das Problem auf, dass es sich um einen sehr unbestimmten Begriff handelt, der zudem von Juristen inhaltlich kaum beurteilt werden kann. Vor diesem Hintergrund führen die Gerichte nur eine eingeschränkte Kontrolle von medizinischen Bewertungen des GBA – und der ihnen zugrundeliegenden IQWiG-Bewertungen – durch. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist mithin zunächst die Differenzierung zwischen einer gerichtlich voll überprüfbaren Sachverhaltsermittlung einerseits und der sich daran anschließenden medizinisch fachlichen Bewertung andererseits, für die der GBA einen Beurteilungsspielraum beanspruchen kann, den Gerichte nur auf seine Grenzen überprüfen. Praktisch bedeutet dies, dass Zweifel am zutreffend ermittelten Sachverhalt juristisch durchschlagendere Argumente sind als Zweifel an der zutreffenden Bewertung des Sachverhaltes.
Einer der zentralen Kritikpunkte an der Arbeit des Gemeinsamen Bundesausschusses und des IQWiG ist ein verengter Begriff der evidenzbasierten Medizin, der den Fokus (fast) ausschließlich auf randomisiert kontrollierte Studien richtet. Während die Vorgehensweise des GBA insoweit durchaus unklar ist (vgl. Kapitel 4 § 7 Abs. 5 VerfO), erklärt das IQWiG in seinem aktuellen Methodenpapier explizit, dass Grundvoraussetzung für eine Nutzenbewertung der Nachweis von Kausalität ist und andere Studientypen als randomisierte kontrollierte Studien in der Regel für einen Kausalitätsbeweis nicht geeignet sind (IQWiG, Allgemeine Methoden, Version 3.0, Seite 11). Jedenfalls soweit eine zu untersuchende Zielgröße im Rahmen einer RCT evaluiert werden kann, berücksichtigt das IQWiG im Regelfall allein RCTs. Dies gilt selbst dann, wenn solche RCTs nicht vorliegen.
Dieses Vorgehen verstößt indessen gegen Grundsätze der evidenzbasierten Medizin. Ausweislich der grundlegenden Ausführungen des als maßgeblicher Begründer der evidenzbasierten Medizin angesehenen Wissenschaftlers Sackett gilt (Sackett et al):

„Evidence based medicine is the conscientious, explicit, and judicious use of current best evidence in making decisions about the care of individual patients. The practice of evidence based medicine means integrating individual clinical expertise with the best available external clinical evidence from systematic research. By individual clinical expertise we mean the proficiency and judgment that individual clinicians acquire through clinical experience and clinical practice. Increased expertise is reflected in many ways, but especially in more effective and efficient diagnosis and in the more thoughtful identification and compassionate use of individual patients‘ predicaments, rights, and preferences in making clinical decisions about their care. …
Evidence based medicine is not restricted to randomised trials and meta-analyses. It involves tracking down the best external evidence with which to answer our clinical questions. … Because the randomised trial, and especially the systematic review of several randomised trials, is so much more likely to inform us and so much less likely to mislead us, it has become the „gold standard“ for judging whether a treatment does more good than harm. However, some questions about therapy do not require randomised trials (successful interventions for otherwise fatal conditions) or cannot wait for the trials to be conducted. And if no randomised trial has been carried out for our patient‘s predicament, we must follow the trail to the next best external evidence and work from there.“

Entgegen IQWiG und Gemeinsamen Bundesausschuss ist evidenzbasierte Medizin also nicht auf randomisierte kontrollierte Studien und ihre Metaanalysen begrenzt, wenn solche randomisierten kontrollierten Studien nur schon möglich sind. Stattdessen sind die Aussagen randomisiert kontrollierter Studien zwar von besonderer Bedeutung. Doch gilt nach Sackett et al., dass Aussagen niedrigerer Evidenz ebenfalls berücksichtigungsfähig sind und jedenfalls berücksichtigt werden müssen, wenn Aussagen des Evidenzniveaus 1 nicht vorliegen. Das methodische Vorgehen von IQWiG und Gemeinsamem Bundesausschuss blendet den Großteil des medizinischen Wissens aus und kommt nach der Kritik vieler Mediziner demgemäß wenig überraschend zu abweichenden Aussagen als anerkannte nationale und internationale Leitlinien, die neben dem Wissen aus klinischen Studien der Evidenzklasse 1 auch weiteres Studienwissen und klinische Erfahrung mit einbeziehen.
Vor dem dargestellten rechtlichen Hintergrund sind auch weitere Zweifel an der Vereinbarkeit der Methodik des IQWiG mit den international anerkannten Standards der evidenzbasierten Medizin zu beurteilen: Insbesondere die Zielgröße „gesundheitsbezogene Lebensqualität und Therapiezufriedenheit“ wirft die Frage auf, ob dieses Ziel tatsächlich realistisch mit randomisierten kontrollierten Studien untersucht werden kann. Lebensqualität und Therapiezufriedenheit sind Aspekte, für die vermutlich unter Alltagsbedingungen Anderes gilt als unter idealisierten Studienbedingungen.
Randomisiert kontrollierte Studien sind in der Regel Studien, in denen in einem Arm die zu prüfende Intervention, im anderen Arm eine Vergleichsintervention oder Placebo verabreicht werden, wobei für den Patienten wegen der Verblindung nicht erkennbar ist, in welchem Studienarm er sich befindet. Dies ist aber zum Beispiel bei der Zuckerselbstmessung anders, weil hier als Vergleichsintervention eine Blutzucker senkende Therapiestrategie vorgesehen ist, die gerade keine Selbstmessung einschließt. Der Patient weiß mithin, in welchem Studienarm er sich befindet. Einbezogen werden also nicht verblindete RCTs, denen eine geringere Aussagekraft beizumessen ist als doppelt verblindeten RCTs in der Arzneimittelbewertung. Dieser, mit dem Gegenstand der Nutzenbewertung zusammenhängende Umstand relativiert den Vorrang der RCTs vor anderen Studientypen.
Die Beschränkung des IQWiG auf RCTs wird weiter dadurch verschärft, dass zumeist eine Mindest-Behandlungsdauer (etwa: mindestens 24 Wochen) vorliegen muss. Zwar ist es bei einer Dauertherapie sicherlich sinnvoll, möglichst lange Studien durchzuführen. Doch bedeutet dies im Umkehrschluss nicht, dass Studien, die kürzer laufen, keinen Erkenntnisgewinn bringen können. Sie sind folglich in die Nutzenbewertung einzubeziehen und entsprechend ihres geringeren Aussagegehalts wegen der Kürze der Studie geringer zu gewichten.
Fazit
Der Gesetzgeber will Rationalisierung statt Rationierung im Gesundheitswesen. Gerade deshalb weist er der Nutzenbewertung des IQWiG eine wichtige Rolle in der Weiterentwicklung der Gesetzlichen Krankenversicherung zu. Diese Rolle setzt aber nicht nur eine fachlich unabhängige Rechtsstellung voraus, sondern auch eine mit den rechtlichen Vorgaben in Einklang stehende neutrale Bewertungspraxis. Auftragsgestaltung, Auftragsverteilung und Bewertungsmethodik sind dabei Einfallstore für politisch motivierte Bewertungsergebnisse, die nach unserer Einschätzung nicht mehr durchweg mit dem rechtlichen Rahmen in Einklang stehen. <<