Zahlen und Daten zu Rabattverträgen: Was wissen wir und was nicht?
Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) wurde die Rabattregelung im Bereich der Arzneimittelversorgung zum 1. April 2007 scharf geschaltet und eine Abgabepflicht rabattierter Produkte in den Apotheken eingeführt. Der rechtliche Rahmen existiert in seiner jetzigen Form also seit über 3 Jahren, sieht man einmal von der Erweiterung der Arzneimittelauswahl durch den neuen Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung im Jahr 2008 ab. Zu Beginn der Rabattvertrags-Ära (April 2007) existierten 2.924 Vereinbarungen für 18.954 Produkte nach § 130a Abs. 8 SGB V, deren Partner 241 Krankenkassen und 70 pharmazeutische Unternehmer waren. Mittlerweile sind es 11.936 Rabattverträge für 31.587 aktive Handelsformen, an denen 169 Krankenkassen und 138 pharmazeutische Unternehmer beteiligt waren (März 2010).
>> Das Instrument der Arzneimittel-Rabattverträge wurde vom Gesetzgeber in das System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit dem Ziel eingeführt, steigende Arzneimittelausgaben abzusenken bzw. abzudämpfen. Unter solchen Rabattverträgen versteht man vertragliche Vereinbarungen zwischen pharmazeutischen Unternehmen und Krankenkassen über die exklusive Belieferung der Krankenversicherten mit einzelnen Arzneimitteln des Herstellers, bei denen dann der Arzneimittelpreis durch Rückvergütungen reduziert wird.
Begonnen hatte alles mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz, das zum 1. Januar 2003 in Kraft trat. Die pharmazeutische Industrie wurde verpflichtet, einen Kollektivrabatt in Form von Abschlägen auf Arzneimittel zu leisten, die zu Lasten der GKV abgegeben werden. Arzneimittel aus einer Festbetragsgruppe nach § 35 bzw. § 35a SGB V sind von dieser Regelung nicht betroffen. Die Apotheken führen die Abschläge in Höhe von 6 % des Herstellerabgabepreises an die Krankenkassen ab und bekommen den Betrag nachträglich vom Hersteller erstattet. Seit 2003 können Krankenkassen nach § 130a Abs. 8 SGB V mit Herstellern auch kassenspezifische Rabattverträge abschließen.
Die bis dato bestehenden Regelungen wurden mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung (AVWG, 1.Mai 2006) dahingehend erweitert, dass auch Leistungserbringer wie Ärztinnen und Ärzte beteiligt werden konnten. Ohne eine gezielte Förderung zur Verordnung und Abgabe rabattierter Präparate hatten die Krankenkassen jedoch kaum Einfluss auf die Absatzmenge. Erst mit dem zum 1. April 2007 in Kraft getretenen GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) wurde der Weg entscheidend dafür geebnet, dass Krankenkassen mit pharmazeutischen Herstellern Rabattverträge wirksamer als bis dahin abschließen können. Die bei der Arzneimittelversorgung bestehende Aut-idem-Regelung (Abgabe des verordneten Arzneimittels oder eines der drei preisgünstigsten Vergleichspräparate durch die Apotheken) wurde hierzu modifiziert. Die Apotheken müssen seitdem aus der Gruppe vergleichbarer Arzneimittel bevorzugt ein solches abgeben, für das Rabattvereinbarungen der jeweiligen Krankenkassen bestehen, sofern der Arzt den Austausch nicht per Aut-idem-Kreuz auf dem Rezept ausgeschlossen hat. Die Aut-idem-Regelung gilt wie vor dem 1. April 2007, wenn kein Rabattvertrag besteht, die rabattierten Medikamente nicht verfügbar sind oder eine zeitlich dringende Abgabe eines Arzneimittels erforderlich ist. Ebenso können pharmazeutische Bedenken Grund für ein abweichendes Vorgehen sein. Mit dem zum 1. April 2008 in Kraft getretenen neuen Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs.2 SGB V wurde die Arzneimittelauswahl auch auf Bereiche erweitert, in denen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) keine Hinweise zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen im Sinne der Aut-idem-Regelung gegeben hat (Pharmatrix, 2008).
Rabattverträge: „Eine (unendliche) Geschichte“
Zum 1. April 2007 wurden bereits bei vielen gesetzlichen Krankenkassen Arzneimittel-Rabattverträge wirksam, der Arzneimittelmarkt veränderte sich grundlegend. Über die Zeit nahm die Anzahl der Verträge noch weiter in starkem Maße zu. Im Dezember 2008 hatten 215 Krankenkassen mit 116 Pharmaunternehmen insgesamt 5.777 Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V abgeschlossen, was einem Zuwachs von 80,9 % gegenüber dem Vorjahresmonat (Dezember 2007) entspricht (Tab. 1). Im darauffolgenden Jahr waren es im Dezember mit 9.339 Rabattverträgen zwischen 184 Krankenkassen und 141 Firmen noch einmal 61,7 % mehr als im Vorjahr. Betrachtet man die Rabatte auf Ebene der Pharmazentralnummer (PZN), welche auch die unterschiedlichen Wirkstärken und Packungsgrößen eines Arzneimittels eindeutig kennzeichnet, so ergibt sich für den Dezember 2009 eine unüberschaubare Anzahl von insgesamt 2,6 Millionen, was einem Plus von 24,2 % gegenüber dem Vorjahresmonat entspricht, und mehr als einer Verdoppelung gegenüber dem Stand im Dezember 2007.
Rabattverträge lassen sich unterteilen in Wirkstoffverträge, also Rabattverträge über einzelne (patentfreie) Wirkstoffe, in Portfolioverträge, also Rabattverträge über das gesamte Sortiment eines pharmazeutischen Unternehmens, und in Originalverträge bzw. Versorgungsverträge mit Rabattvereinbarungen über einzelne Originalpräparate. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise die Rabattverträge mit Herstellern kurzwirksamer Insulinanaloga zur Absenkung der Kosten auf das Niveau von Humaninsulin zu nennen. Seit dem 29. September 2006 sind kurzwirksame Insulinanaloga zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ-2 (Insulin aspart, Insulin glulisin, Insulin lispro) bis auf Ausnahmen nicht verordnungsfähig, solange sie mit Mehrkosten im Vergleich zu kurzwirksamem Humaninsulin verbunden sind (G-BA, 2006). Durch Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Herstellern über die Preisäquivalenz, die zum Teil fast unmittelbar nach Inkrafttreten des Beschlusses im Oktober (also noch vor den Wirkstoff- und Portfolioverträgen seit 1. April 2007) wirksam wurden, konnten die Versicherten jedoch in vielen Fällen weiter mit kurzwirksamen Analoginsulinen versorgt werden.
Während die Ersatzkassen zu Portfolioverträgen tendieren, sind es bei den AOKen die Wirkstoffverträge (Schumacher et al., 2009). Die AOK kann in der Gesamtschau ohne Zweifel als Vorreiter bei den Arzneimittel-Rabattverträgen bezeichnet werden. Ihre erste Staffel begann zum 1. April 2007 mit Vereinbarungen zu 42 Wirkstoffen. Wie diesbezügliche Auswertungen zeigten, differierten die Verträge aber zwischen den einzelnen AOKen zum Teil stark. Zudem offenbarten sich extrem kurze Vertragslaufzeiten (Hoffmann et al., 2009). So lag die kürzeste Laufzeit beim Magenmittel Omeprazol innerhalb der 2. Vertragsstaffel im Beispiel der AOK Bayern bei nur 2 Monaten (Tabelle 2). Zeitweise waren bis zu 36 verschiedene Medikamente mit diesem Wirkstoff von diversen Herstellern rabattiert (Tab. 2).
Eine Vielzahl an Verträgen mit unterschiedlichen Herstellern und den zum Teil kurzen Laufzeiten kann insbesondere für chronisch Erkrankte mit einer Dauermedikation häufige Präparatewechsel bedeuten. Was diesen Punkt betrifft, weisen die AOK-Verträge ab der dritten Staffel mit nur einem Hersteller je Wirkstoff und Gebietslos und zumindest einer zweijährigen Laufzeit in die richtige Richtung.
Rechtsstreitigkeiten waren ein ständiger Begleiter der Rabattverträge. Beispielsweise hatte das Landessozialgericht Baden-Württemberg Ende Februar 2008 in einem Eilverfahren die Verhandlungen zwischen der AOK-Gemeinschaft und diversen Pharmaunternehmen zwischenzeitlich gestoppt. Ausgangspunkt waren Unstimmigkeiten der AOK gegenüber der Vergabekammer der Bezirksregierung Düsseldorf und des Bundes. Sie untersagten der AOK die Rabattverträge, da mittelständische Pharmaunternehmen wettbewerbsrechtlichen Nachteilen ausgesetzt seien. Die AOK gewann zwar zuvor einen Prozess in erster Instanz beim Sozialgericht Stuttgart, allerdings legte die Vergabekammer Düsseldorf Widerspruch ein und es kam zu neuen Verhandlungen. Die Vergabekammer konnte sich durchsetzen (Beschlüsse v. 27.02.2008 Az. L5 KR 507/08 ER-B sowie L5 KR 6123/07 ER-B) und erwirkte ein Ende der laufenden Vertragsverhandlungen. Der AOK wurden mangelnde Transparenz und Verstöße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz angelastet.
Neue Unstimmigkeiten taten sich mit Einführung der wirkstoffbezogenen Rabattverträge der dritten AOK-Staffel ab 1. Juni 2009 auf. Diesmal ging es um die Auslegung der Begrifflichkeiten „identische Packungsgröße“ und „gleicher Indikationsbereich“. Nach den gesetzlichen Regelungen muss das abgegebene Arzneimittel mit dem Verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße identisch sowie für den gleichen Indikationsbereich zugelassen sein und die gleiche oder austauschbare Darreichungsform besitzen (Pharmatrix, 2008). Um einen hohen Abgabeanteil rabattierter Präparate zu erzielen, versuchte die AOK die Begriffe „gleicher Indikationsbereich“ und „identische Packungsgröße“ möglichst weit auszulegen. Viele Generika weisen nämlich nicht die volle Bandbreite an Indikationen auf wie das patentfrei gewordene Originalpräparat. Während das von der pharmazeutischen Industrie in Auftrag gegebene Gutachten des Juristen Dierks (2009) zu dem Schluss kommt, dass eine Verpflichtung zur Substitution nur dann besteht, wenn das abzugebende Arzneimittel auch in allen Anwendungsgebieten des verordneten Medikaments zugelassen ist, fällt die Interpretation des von der AOK in Auftrag gegebene Gutachten fast erwartungsgemäß anders aus: Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft könne angenommen werden, dass Generika das gleiche Sicherheitsprofil und die gleiche Wirksamkeit in all den Anwendungsgebieten aufweisen, für die das Referenzarzneimittel zugelassen wurde. Deshalb spräche haftungsrechtlich nichts dagegen, ein Generikum abzugeben, auch wenn im Vergleich zum verordneten Präparat die Zulassung für bestimmte Indikationen fehle (Ehlers et al., 2009). Ein solcher Austausch kann jedoch den Patienten verunsichern, da die Packungsbeilage unter Umständen weder seine Krankheit noch die einschlägige Dosierungsanleitung aufführt.
Auch der Begriff „identische Packungsgröße“ wird seit 2009 kontrovers diskutiert. Hintergrund waren seinerzeit die AOK-Rabattverträge für Omeprazol mit der Firma KSK-Pharma AG über Packungsgrößen zu 15, 28, 56 und 98 Stück, die von der standardmäßigen Stückzahl (20, 50, 100 Stück) abweichen. Dies ist offenbar der Grund dafür, dass die AOK bezüglich der laut Gesetz „identischen Packungsgröße“ nun auf dem Standpunkt steht, dass alle Packungen mit gleicher N-Normierung (N1, N2 oder N3 entsprechen kleinen, mittleren oder großen Packungsgrößen) als identisch angesehen werden müssen, unabhängig von der in der Medikamentenpackung enthaltenen Stückzahl.
Zu gleichem Schluss kommt entsprechend ein von der AOK in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten (Kingreen, 2009). Da im Falle des Wirkstoffs Omeprazol N3-Packungen mit einem Inhalt von 56 Kapseln bis zu den üblichen 100 Stück auf dem Markt verfügbar sind, kann ein Austausch nach Normgröße und nicht nach Stückzahl bedeuten, dass ein Patient aufgrund der Rabattverträge in der Apotheke ein Präparat mit 56 Kapseln ausgehändigt bekommt, obwohl der Arzt 100 Stück „meinte“. Die AOK-Interpretation sorgte nicht nur für Unverständnis bei der pharmazeutischen Industrie (Pro Generika, 2009), sondern insbesondere auch bei den Apotheken. Letztere bekamen im Bundesland Baden-Württemberg von der dort ansässigen AOK am 15. März 2010 sogar „Seriendrohbriefe“ zugesandt, in denen von den Apotheken eine umgehende vollständige Substitution gefordert wurde (Apotheker Zeitung, 2010).
Letztlich sind die oben genannten Punkte bis zum heutigen Tag nicht eindeutig geklärt. Dass es anders geht, zeigte sich am Beispiel von Spectrum|K, einem Gemeinschaftsunternehmen der Betriebskrankenkassen, das bei der Ausschreibung exakte Packungsgrößen (mit Angaben in Stückzahl) vorgegeben hatte. Zudem wurden in die Spectrum|K Verträge Arzneimittel mit kritischer Bioäquivalenz, z.B. Antiepileptika, nicht einbezogen. Es sorgte allerdings ein „Rabatt-Ranking“ für Gesprächsstoff, nach dem Spectrum|K von den Apothekern verlangt, eine bestimmte Reihenfolge bei der Abgabe der bis zu vier Rabattpartner pro Wirkstoff einzuhalten, um aus den Rabattverträgen maximale Einsparungen zu erzielen (apotheke adhoc, 2010a).
Ein Ende der Rabattverträge ist nicht in Sicht. Zum 1. März 2010 waren die von SpektrumK für 80 Kassen mit 7 Millionen Versicherten ausgehandelten Rabattverträge zu 52 Wirkstoffen an den Start gegangen, die Techniker Krankenkasse schloss zum 1. April 2010 für 89 Wirkstoffe Rabattverträge. Zeitgleich startete die vierte Staffel der AOK-Rabattverträge für weitere 80 Arzneistoffe, im Oktober soll die fünfte Staffel folgen (apotheke adhoc, 2010b). Nicht müde wird der Chefunterhändler der AOK-Rabattverträge, Christopher Hermann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, den Erfolg der Arzneimittel-Rabattverträge zu betonen und nennt enorme, immer größer werdende Einsparpotenziale. Bis Ende 2010 erwartet er ein Einsparvolumen von einer Milliarde Euro (AOK BV, 2010), eine Summe, die sich aber leider nicht nachprüfen lässt, schon gar nicht als Nettoeinsparung, nachdem alle Transaktionskosten abgezogen sind.
Studien zu Rabattverträgen
Mittlerweile liegen einige Studien zu den Auswirkungen von Rabattverträgen vor, die sich aber teils erheblich in ihren Ergebnissen bzw. deren Interpretation unterscheiden. Folgende Aussagen sollen dies verdeutlichen: So akzeptieren Patienten einerseits nicht, dass die Krankenkasse Einfluss auf die verordneten Präparate hat (Gröber-Grätz & Gulich, 2010) und es klagt nach der Umstellung auf rabattierte Arzneimittel fast die Hälfte der Patienten über unerwünschte Wirkungen (Neises et al., 2009). Andererseits begrüßt jedoch die Mehrzahl der Versicherten, dass Krankenkassen Rabattverträge mit Arzneimittelherstellern abschließen und bei der Umstellung auf Rabattarzneimittel gibt es keine Probleme (WIdO, 2009). Insgesamt möchten 89,5 % der Befragten ihr gewohntes Medikament behalten (Gröber-Grätz & Gulich, 2010). Gleichzeitig spielt aber auch für 86,9 % der Befragten der Hersteller des Medikamentes keine Rolle, so lange die Qualität stimmt (WIdO, 2009).
Wodurch lassen sich solche Unterschiede erklären? Zunächst muss man sich die Frage stellen, wem solche Ergebnisse nützen. Die zuletzt zitierte Umfrage von 2.025 Versicherten, aus der die Schlussfolgerung gezogen wurde, dass diese die Rabattverträge grundsätzlich positiv bewerten, stammt aus den Unterlagen zur Pressekonferenz der AOK am 6. Mai 2009 zum Start der dritten Staffel der Rabattverträge. Eine Volltextpublikation mit näherer Beschreibung der Methodik und weiteren Ergebnissen liegt allerdings nicht vor, weshalb es nicht möglich ist, die Studie kritisch zu beurteilen. Interessanterweise gab es im WIdOmonitor 2/2008 eine Vorschau zu exakt dieser Befragung mit dem folgenden Wortlaut: „Der nächste WIdOmonitor untersucht die Wahrnehmung und Akzeptanz von Arzneimittel-Rabattverträgen bei GKV-Versicherten.“ Tatsächlich wurde besagte Umfrage überhaupt nicht veröffentlicht, vielmehr beschäftigte sich die nächste Ausgabe mit „Erwartungen an die GKV nach Einführung des Gesundheitsfonds“. Auch zum Marketing der vierten Staffel der AOK-Rabattverträge wurden erneut selektiv Ergebnisse einer Umfrage von diesmal sogar knapp 6.000 Versicherten der AOK Baden-Württemberg vorlegt (Herrmann, 2010; Rottschäfer, 2010). Dies wäre die größte bisher durchgeführte Umfrage zur Patientensicht auf Rabattverträge – wird man hierzu jemals eine Volltextpublikation erwarten können? Solche klar interessengeleiteten und ausschließlich zu Marketingzwecken durchgeführten Studien, deren Ergebnisse selektiv eingesetzt werden und deren Nutzung bisher das „Privileg“ von Pharmaunternehmen war, sind also auch bei den Krankenkassen kein Fremdwort mehr (Hoffmann & Glaeske, 2009). Dies halten wir für eine äußerst bedenkliche Entwicklung!
Die andere oben zitierte Studie wurde unter dem Titel „Machen Rabattverträge krank?“ im Herbst 2009 in der „Pharmazeutischen Zeitung“ veröffentlicht. Nach dieser Untersuchung klagen 49 % der in Arztpraxen oder Apotheken befragten 135 Patienten, deren Medikation aufgrund von Rabattverträgen umgestellt wurde, über Nebenwirkungen, jeder Vierte sogar über starke Nebenwirkungen (Neises et al., 2009). Obwohl publiziert, fehlen auch zu dieser Untersuchung wichtige methodische Angaben, z.B.: Wie wurden Praxen/Apotheken ausgewählt? Wie wurden die Patienten rekrutiert? Wie hoch war der Response? Und wer hat die Studie gesponsert? Die Erstautorin hat zudem seit 2003 eine Stada-Stiftungsprofessur inne und wird damit von einem der größten Generikahersteller (mit-)finanziert. Auch wenn die Studienautoren die absolut unterstützenswerte Forderung stellen, dass das Instrument der Rabattverträge kritisch überprüft werden müsse, scheinen die Ergebnisse bezüglich der Nebenwirkungen nicht unbedingt plausibel. Schließlich müssen Generika in der Zulassung ihre Bioäquivalenz nachweisen und stammen oftmals sogar aus der gleichen „Maschine“ wie das Original. Bei der anderen nicht unbedingt positiv für Rabattverträge ausgefallenen Studie wurden die Fragen eher unglücklich gewählt. Oder würden Sie die Frage: „Möchten Sie Ihr gewohntes Medikament behalten?“ mit „trifft nicht zu“ beantworten? Erwartungsgemäß haben sich dann auch 89,5 % der Befragten für „trifft zu“ entschieden.
Fazit
Diese Studien unterstreichen vor allem einen in der Umfrageforschung bekannten Punkt: Häufig haben Personen vor der Befragung keine vorgefertigte Meinung zu einem Thema, sondern sie „reagieren“ (Noelle-Neumann & Petersen, 2000). Laut zwei im Frühjahr 2008 durchgeführten Befragungen waren Rabattverträge 62 % bzw. 60 % der gesetzlich Krankenversicherten bekannt (Leutgeb et al., 2009; Pfannkuche et al., 2008). Nach der zur Pressekonferenz der dritten Staffel zitierten Befragung waren nur 32 % der AOK-Versicherten über Rabattverträge informiert (WIdO, 2009). Davon gehört zu haben, bedeutet eben längst nicht, die Hintergründe und Auswirkungen dieses Instruments umfassend einschätzen zu können.
Obwohl also nahezu zwei Drittel der Befragten in der Untersuchung von Leutgeb et al. (2009) Rabattverträge kannten, wussten lediglich ein Drittel (34 %), dass Krankenkassen dabei einen Vertrag mit einem bestimmten Hersteller haben. Kaum mehr stimmten der Aussage zu, dass die Wirkung der auszutauschenden Medikamente identisch ist (41 %). In die gleiche Richtung deuten auch die Ergebnisse des Bertelsmann Gesundheitsmonitors, nach denen der Großteil der Befragten keine klare Bewertung zu Rabattverträgen abgab: 34 % antworteten mit „teils/teils“ und weitere 19 % mit „weiß nicht“ (Pfannkuche et al., 2008). Umso wichtiger wäre die Frageformulierung, wenn Reaktionen zu Themen generiert werden, zu denen man keine klare Meinung hat bzw. über die man nicht viel weiß.
Dies erklärt sicherlich einen Teil der Unterschiede zwischen den Studien. Andererseits können feste Meinungen auch durch tendenziöse Fragen nicht erschüttert werden. Wenn jemand Fußball schrecklich findet, könnte man ihm auch mit einer Frage „Was halten Sie von Fußball, einer äußerst unterhaltsamen Sportart im Freien, von der schon Millionen Deutsche begeistert sind?“ kein „finde ich gut“ herauslocken: Wohl aber demjenigen, der darüber noch nie nachgedacht hat.
Nicht schwarz oder weiß,
aber vor allem nicht evidenzbasiert
Nach Ansicht der AOK entlasten Rabattverträge die gesetzliche Krankenversicherung deutlich, sie sind ein nachhaltig bewährtes Erfolgsmodell, werden von allen Beteiligten akzeptiert und fördern zudem Angebotsvielfalt und Wettbewerb (Rottschäfer, 2010)! Wettbewerb wiederum soll nach Ansicht des Bundesministeriums für Gesundheit mehr Bedarfsgerechtigkeit, mehr Qualität, mehr Effizienz, geringere Kosten sowie weniger Bürokratie schaffen. Busse (2009) fragt an dieser Stelle zurecht, wie es um die Evidenzbasierung solcher Aussagen bzw. auch der entsprechenden Interventionen bestimmt ist?
Bezogen auf die Rabattverträge sind die vorhandenen Querschnittsuntersuchungen ohne Kontrollgruppe nicht geeignet, Aussagen über den patientenrelevanten Nutzen bzw. Schaden dieser Intervention abzuleiten, deren Umfang die Betroffenen selbst gar nicht einschätzen können. Hierzu wären im Idealfall randomisierte kontrollierte Studien mit Kontrollregionen, aber auch prospektive Kohortenstudien mit Vorher-Nachher-Vergleichen denkbar. Solche Studien wurden aber nicht durchgeführt.
Eine Nutzen-Bewertung des IQWiG würde für Rabattverträge aufgrund des Fehlens hochwertiger Untersuchungen zu der Schlussfolgerung kommen, dass keine Belege für den Nutzen der Rabattverträge und auch kein Zusatznutzen gegenüber der konventionellen Versorgung existieren. Rabattverträge müssten konsequenterweise aus dem Leistungskatalog der GKV gestrichen werden. Wieso hinterfragt also die Gesundheitspolitik ihre eigenen Reformmaßnahmen nicht genau so rigoros wie beispielsweise neue Arzneimittel (Busse, 2009)? Warum werden bereits für die Zulassung von Medikamenten – und zwar völlig zurecht, um Patienten vor unwirksamen oder sogar schädlichen Mitteln zu schützen – Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität gefordert, hingegen gesundheitspolitische Interventionen als Massenexperimente eingeführt?
Wären Rabattverträge Arzneimittel, wären sie noch nicht einmal zugelassen. Einerseits wird, u.a. mit der Einrichtung des IQWiG, der Fokus immer mehr auf Qualität und eine evidenzbasierte Gesundheitsversorgung gelegt. Andererseits werden auf Systemebene fast beliebig Interventionen ohne jede Evidenz ein- und vor allem weitergeführt. Auch „Abbruchkriterien“, wie in klinischen Studien, existieren nicht. Ebenso wenig ist eine kontinuierliche Adaptierung auf Basis der vorliegenden Studien vorgesehen, wie es beispielsweise bei Leitlinien üblich ist.
Politikfolgeforschung ist dringend erforderlich. Die Versorgungsforschung bietet ein entsprechendes methodisches Instrumentarium an (Glaeske et al., 2009). Gesundheitspolitik ist oftmals Expertenmeinung und damit Evidenz der niedrigsten Stufe, die zudem ihr eigenes Vorgehen nicht kritisch hinterfragt. Methodisch hochwertige Studien im Sinne einer als „proof of principle“ zu überspringenden Hürde sind natürlich teuer und verzögern die Einführung einer gesundheitspolitischen Intervention. Nur gilt dies für Medikamente auch. Warum wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Die Einführung der Rabattverträge sowie anderer wettbewerblicher Elemente in die Gesundheitsversorgung erscheinen wie eine Priorisierung ökonomischer gegenüber Qualitätsaspekten. Aber selbst für diese immer wieder proklamierten Kostenersparnisse liegen keine belastbaren Daten vor. <<